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Aus: Ausgabe vom 26.10.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Krieg für Jahrzehnte

Von Reinhard Lauterbach
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Für Heinrich Heine war die Weltlage noch klar: »Franzosen und Russen gehört das Land, / Das Meer gehört den Britten, / Wir aber besitzen im Luftreich des Traums / die Herrschaft unbestritten.« 180 Jahre und die Erfindung der Luftwaffe später ist an die Stelle der Herrschaft im Luftreich des Traums die Frage nach der Herrschaft im realen Luftreich getreten. Und sie macht der NATO vielleicht nicht Alpträume, aber doch Sorgen. Deshalb übte sie kürzlich im Himmel über Griechenland die Bekämpfung russischer Luftabwehr, denn, so zitiert ein mitgereister FAZ-Reporter den Presseoffizier der Übung: »Wenn die Russen etwas können, dann ist es Luftabwehr.« Ein typisches Beispiel aggressiver Absichten der Russen, denn »Access Denial«, zu deutsch: Zutrittsverweigerung, das hat die zugriffsgewöhnte NATO überhaupt nicht gern. Entsprechend dann auch die Wortwahl im FAZ-Artikel: Es gehe darum, »Angriffen« russischer S-300- und S-400-Raketensysteme auszuweichen. Denn »wir« verteidigen natürlich, auch wenn wir angreifen. Als praktisch erweist sich übrigens im nachhinein, dass mit Griechenland und der Türkei immerhin zwei NATO-Länder US-amerikanischem Druck widerstanden und diese russischen Systeme angeschafft haben; da kann man sie gleich aus der Nähe studieren.

Aber die Russen können nicht nur Luftabwehr; sie können auch sonst noch einiges. Das Kieler »Institut für Weltwirtschaft« hat unter dem Titel »Fit for war in Decades« – kriegstüchtig erst in Jahrzehnten – einen umfangreichen Bericht über das Missverhältnis in der konventionellen Rüstung zwischen der BRD bzw. der NATO einerseits und Russland andererseits vorgelegt. Demnach hat das Bestreben, die »Friedensdividende« einzukassieren, zu einem Zustand der Bundeswehr geführt, bei dem sie »in einem Abnutzungskrieg unter gleichwertigen Gegnern wie in der Ukraine sehr schnell jeden Kampfwert verlieren würde«. Rüstungsausgaben in der bisherigen Höhe seien »ungeeignet, die allein seit 2004 eingetretenen Missverhältnisse (…) in einem vernünftigen Zeithorizont zu beseitigen«. Russland schaffe es, die gesamten Bestände der Bundeswehr an schweren Waffen aus dem Jahre 2021 je nach Waffengattung in drei bis sieben Monaten neu zu produzieren. Wenn die BRD im bisherigen Tempo weiterrüste, dann könne es bis 2066 dauern, bis die Panzerbestände der Bundeswehr wieder auf dem Niveau von 2004 seien.

Daraus könnte man nun zwei Schlüsse ziehen: entweder den, dass eine militärische Rivalität mit Russland die Kräfte der BRD übersteigen würde. Aber für so ein Argument hält sich der Staat natürlich kein »Institut für Weltwirtschaft«. Vielmehr für das Gegenteil: das »Plädoyer für eine langfristige deutsche und europäische Rüstungsstrategie« durch eine substantielle und dauerhafte Erhöhung der Rüstungsausgaben im regulären Militärhaushalt, nicht in irgendwelchen Sondervermögen. Das, so versprechen die Autoren, wäre auch »in der Gesellschaft leichter zu vermitteln«, und vor allem: Es schaffe für die Rüstungsindustrie Planungssicherheit, denn auch in dieser Branche sei es so, dass »die Nachfrage die Kapazitäten schafft« – aufgrund eines läppischen Sondervermögens würden keine Investitionen vorgenommen. Um aber die »Nachfrage« nach Rüstungsgütern zu stimulieren, muss die Bedrohungslage entsprechend modelliert werden: »Dem (europäischen, R. L.) Kontinent« und der »gesamten westlichen Allianz« drohe »ein schwerwiegender strategischer Nachteil über die nächsten Jahrzehnte«.

Letzte Preisfrage: Warum beschäftigt sich eigentlich ein »Institut für Weltwirtschaft« damit, eine Aufrüstungsstrategie auf Jahrzehnte zu modellieren? Die Antwort gab der französische Sozialist Jean Jaurès in einem berühmten Vergleich: Die »Weltwirtschaft« – er sprach noch von Kapitalismus – enthält den Krieg wie die Wolke den Regen.

Das Kieler »Institut für Weltwirtschaft« beklagt mangelndes Tempo bei der Aufrüstung. Wenn die BRD so weiterrüste, dann könne es bis 2066 dauern, bis die Panzerbestände wieder auf dem Niveau von 2004 seien.

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