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Aus: Ausgabe vom 28.10.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Geschichtspolitik

Hindenburg entehren

Berlins Bürgermeister spricht sich gegen die Umbenennung des Hindenburgdamms in Lichterfelde aus. Das ist ein Fehler. Ein offener Brief
Von Helmut Donat
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Junker, Kriegsverbrecher, Hitlers Steigbügelhalter: Reichspräsident Hindenburg (Truppenbesuch 1926)

Im Berliner Stadtteil Lichterfelde ist noch immer eine Straße nach Hitlers Steigbügelhalter Paul von Hindenburg benannt. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat sich gegen die Umbenennung des Hindenburgdamms ausgesprochen. Wegner fordert statt dessen einen »verantwortungsbewussten Umgang mit der Geschichte«, wie die Senatskanzlei mitteilte. Dabei spricht er sich für Informationsstelen aus, die der Aufklärung dienen sollen. Gegen diese Haltung hat der Bremer Verleger und Publizist Helmut Donat einen offenen Brief an den Bürgermeister verfasst, den wir im folgenden veröffentlichen. An diesem Montag von 17.30 bis 19 Uhr lädt Wegner zu einer Diskussionsveranstaltung im Statthaus Böcklerpark in Kreuzberg ein. (jW)

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Wegner,

es ist ein moralischer Fortschritt, wenn Bürger unseres Landes sich dafür einsetzen, Straßen, Plätze oder Kasernen nicht weiter dem Namen eines Kriegsverbrechers zu überlassen. Parolen wie »Wir sind Hindenburg«, so von der Landesgeschäftsstelle der CDU Niedersachsen 2022 vertreten, sind ein Schlag ins Gesicht der kritischen historischen Aufklärung. Der Vorschlag, durch Hinweisschilder Hindenburg als Namensgeber zu retten, wirkt wie eine Ausflucht und bedient die »ewigen Hindenburg-Deutschen«.

Straßennamen stellen eine Ehrung dar. »Sie verweisen«, so Friedrich von Mansberg, Intendant und Chefdramaturg am Theater Lüneburg, »auf die Verdienste einer Person, für diese Stadt und oder weit darüber hinaus. Und das wird auch durch die Anbringung von Hinweisschildern nicht anders.«

Hindenburg war antidemokratisch, monarchistisch, republikfeindlich gesinnt, korrupt und Kollaborateur des Naziregimes. Er hat den Hass gegen den äußeren und inneren Feind gefördert (u. a. mit der »Dolchstoßlegende«). Seine Verdienste als »Feldherr« sind begrenzt. Niederlagen ließ Hindenburg stets auf das Konto anderer buchen. Seine Tätigkeit im großen Generalstab und in der Oberste Heeresleitung (OHL) war die Ursache vieler Fehlschläge, so z. B. die der großen Märzoffensive 1918. Er und Ludendorff unterschätzten stets die Kraft der feindlichen Streitkräfte, insbesondere auch die der Amerikaner. So sah es auch der Kronprinz im Interview mit einem Journalisten von Associated Press Anfang Dezember 1918.

Der Ruhm Hindenburgs, der manchen Kreisen weiterhin als »deutscher Held« gilt, beruht auf Legenden, auf Lügen sowie auf der Ausbeutung, die er gefördert hat. Millionen von Arbeitern, Bauern und Mittelständlern haben ihn abgelehnt, weil er zugelassen hat, ihnen den Lohn zu rauben, den Ertrag ihrer Äcker zu mindern und ihre Einkommen zu schmälern. Hindenburgs Unterschrift steht unter:

– Brünings Notverordnungen zum Lohnabbau, zur Steuererhöhung sowie zum Abbau der Erwerbslosenversicherung,

– der Erklärung zur Absetzung der Preußen-Regierung, – Hitlers Ernennungsdekret zum Reichskanzler und unter dem Dankesbrief an Hitler nach den Morden des 30. Juni 1934

.

Hindenburg war ein Steuerhinterzieher. 1932 erhielt er das Gut Neudeck, Stammsitz seiner Vorfahren, von den Junkern und ostelbischen Großgrundbesitzern geschenkt. Um keine Steuern zahlen zu müssen, wurde das Gut auf den Sohn Hindenburgs überschrieben, der Staat um die Erbschaftssteuer geprellt. 1933 schenkte Hitler Hindenburg weitere 10.000 Morgen zum Gut Neudeck.

Die »Osthilfe«, das größte Subventionsprogramm der Weimarer Republik, wurde von Hindenburg selbst auf den Weg gebracht. Sie war stets sein liebstes Kind. Sie sollte der maroden Wirtschaft der ostelbischen Großgrundbesitzer zu neuem Aufschwung verhelfen. In Wirklichkeit war sie deren »Raubzug gegen den Staat« (Rudolf Olden). Sowohl Brüning als auch Papen mussten als Reichskanzler gehen, weil sie den Interessen der Ostelbier widersprachen. Gleiches widerfuhr Kurt von Schleicher. Mit Osthilfegeldern wurden Güter finanziert, deren Besitzer über rentable Fabriken verfügten, oder Autos gekauft für Ferien an der Riviera. Ende Dezember zeichnete sich ab, dass Hindenburg selbst (wie andere Mitglieder des preußischen Adels) in den »Osthilfeskandal« verwickelt war und er sein Amt als Reichspräsident durch Eingriffe für Verwandte missbraucht und sich korrupt verhalten hatte.

Um seine eigene Haut zu retten, machte er Hitler zum Reichskanzler, der im Gegenzug den Skandal niederschlug und die Presse knebelte. Damit lieferte Hindenburg Zehntausende der Wähler, die im April 1932 für ihn gestimmt hatten, um Hitler zu verhindern, dem Naziregime aus. Im Berliner Volksmund kursierte seinerzeit der politische Witz: »Hindenburg macht eine Reise durch die Konzentrationslager, um seine ehemaligen Wähler zu besuchen!«

Als es in Münster um die Rückbenennung des Hindenburgplatzes in Schlossplatz ging, wurden jedem Interessierten die Argumente für das Für und Wider zugänglich. Das Ergebnis und die Schlussfolgerungen fasste Markus Lewe, CDU-Oberbürgermeister von Münster damals – 2012 – mit den Worten zusammen: »Das bisherige Namenspatronat Hindenburgs ist angesichts jüngerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und eines dadurch veränderten Geschichtsbildes nicht mehr haltbar. Hindenburg wollte hinter die Demokratie von Weimar zurück und die freiheitliche Ordnung in eine autoritär-obrigkeitliche umwandeln.«

Wer Hindenburg ehrt, entehrt seine Kritiker. Zu ihnen gehört Theodor Lessing. Gegen ihn wurde 1925 eine reichsweite antisemitische Hetzkampagne inszeniert, weil er Hindenburg ein »Zero« genannt hatte, hinter dem »immer ein künftiger Nero verborgen steht«. Lessing wurde 1933 im Marienbader Exil von Nazis ermordet.

Die Frage nach der Traditionswürdigkeit einer Persönlichkeit ist eine ernste Angelegenheit. Der nach Hindenburg benannte Straßenname sollte entfernt und an dessen Stelle jener der Ärztin und Widerstandskämpferin Edith Jacobson gesetzt werden. Anderenfalls laufen Sie, Herr Regierender Bürgermeister, Gefahr, das Ansehen Berlins und Ihr eigenes zu schädigen.

Mit freundlichen Grüßen,

Helmut Donat

»Alberich-Bewegung«

Auf dem Rückzug der deutschen Truppen aus Nordfrankreich und Belgien im Herbst 1918 befahl die OHL unter Hindenburg und Ludendorff ein ungeheures Verwüstungssprogramm (Ersäufen aller Kohlebergwerke, Abholzen von Obstplantagen, Zerschlagen der Infrastruktur sowie die Zerstörung von etwa 20.000 Fabriken und deren Ausraubung etc.).

Bereits im Frühjahr 1917 erfolgte die Plattmachung des rund 120 Kilometer langen und 15 Kilometer breiten, nördlich und südlich der Somme gelegenen Geländestreifens zwischen Arras und Soissons. Es handelte sich um eine »Frontbegradigung« unter dem Decknamen »Alberich-Bewegung«. Frieder Riedel schreibt dazu in dem Buch »Das Gesicht des Krieges« (2006): »Um das Gebiet zwischen dem alten Frontverlauf (…) für den Feind gänzlich unbrauchbar zu machen, zerstörten deutsche Pioniere systematisch die gesamte Infrastruktur (…). Sie sprengten jeden Brunnen, jede Brücke, jeden Kirchturm und die meisten Häuser. 280 französische Dörfer wurden so dem Erdboden gleichgemacht (…). Man muss als Deutscher im nachhinein feststellen, dass der Hass der französischen Zivilbevölkerung nach dem Ersten Weltkrieg (…) maßgeblich auch durch die blindwütige Zerstörung einer riesigen Kulturlandschaft ohne Kampfhandlungen sich entwickelt hat.«

Das gesamte Gebiet wurde in eine öde, tote Wüste verwandelt – bei gleichzeitigem Abtransport von etwa 150.000 Einwohnern: Pionierarbeit, von Hindenburg und Ludendorff befohlen. Hauptmann Willy Meyer berichtet dazu 1919 in der Münchener Post: »Es ist lohnend, sich einmal anschaulich in die Lage und Seele der Bewohner zu versetzen (…). Wir werden dann manche Bedingungen des Friedensvertrages besser verstehen lernen. Es war damals harter Winter, als der Abtransport der Einwohner von Haus und Hof geschah. Alles, alles ging verloren. Es ließ sich auch nicht vermeiden, dass bei der ›Verschleppung‹ die Familien getrennt wurden, der Mann von der Frau, die Mutter vom Kinde. Wann und wo mögen sie sich wiedergefunden haben? Sie und ihr Besitztum waren nichts weiter als seelenlose Faktoren im Kriegsplan des großen Generals (…). Vom menschlichen Standpunkt aus ist die ›Alberich-Bewegung‹ ein fluchwürdiges Verbrechen.« Es ist mehr als überfällig, Hindenburgs militärisches und politisches Wirken nicht weiter zu verharmlosen. Von der brutalen Kriegführung der OHL führt ein nahezu gerader Weg zu den von der deutschen Wehrmacht und den Schergen der Naziorganisationen von 1939 bis 1945 begangenen Greueltaten. Die »Politik der Verbrannten Erde« nahm ihren Anfang im Ersten – und nicht im Zweiten Weltkrieg.

Aus: Helmut Donat: Wider den fragwürdigen Umgang mit der Vergangenheit. Bremen 2022, S. 47 ff.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Markus P. aus Frankfurt (29. Oktober 2024 um 00:10 Uhr)
    Hatte an vielen Stellen das unwillkürliche Gefühl, ich lese über Olaf Scholz. Vorher war ich mir nicht sicher, nach dem Brief bin ich eher für die Umbenennung. Aber am meisten befürworte ich die hier beschriebene informierte Einbindung der Bürger.
  • Leserbrief von Bernd Kulawik aus Rostock (28. Oktober 2024 um 09:07 Uhr)
    Man sollte beim Thema bzw. zur Person Hindenburg zwei Dinge nie unerwähnt lassen, die in der DDR noch allgemeine Schulbildung waren: 1. Über das Abschlachten von Millionen Menschen, den Ersten Weltkrieg, sagte der Junker, dieser Krieg sei ihm »wie eine Badekur« bekommen. Vermutlich stellte er sich vor, wie er im noch warmen Blut seiner Opfer badete … 2. Die Kommunisten plakatierten vor der letzten Reichspräsidentenwahl: »Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg.« Bekanntlich haben sie Recht behalten. Das entlarvt aber auch alle diese späteren Aussagen im Stile von »Aber wir haben doch nichts gewusst und nichts geahnt …« als dummdreiste Lügen! Es ist leider auch nicht unnötig daran zu erinnern, dass die SPD damals zur Wahl Hindenburgs aufgerufen hat, weil sie als nur mühsam getarnte Partei des Großkapitals den Kommunisten Thälmann verhindern wollte und musste. Sonst hätte ja vielleicht noch jemand die Rolle der SPD-Führer vor Gericht untersuchen lassen können, die diese in der Novemberrevolution 1918 gespielt haben. Dass das nicht geschah, ist Voraussetzung dafür, dass nach diesen menschenschlachtenden Schreibtischtätern heute noch Stiftungen, Plätze, Schulen, Straßen, Regierungsgebäude etc. benannt sind … Wer immer noch an Straßennamen wie »Hindenburgdamm« hängt, sollte seinem Bekenntnis sofort Taten folgen lassen und sich in die aktuell weltweit – auch wieder dank »doitscher« Regierungen – zahlreich vorhandenen Schützengräben begeben und dort dann (wie es Remarque beschreibt) nach einem Granattreffer versuchen, seine Gliedmaßen einzusammeln und die Gedärme in den Bauch zurück zu stopfen. Und dabei immer schön daran denken, für wen so etwas eine »Badekur« war … und ist! Historisch passt hier mal wieder ganz besonders gut der Ausspruch Max Liebermanns beim Anblick der aufmarschierenden Nazihorden unter seinem Fenster am Pariser Platz 1933 – denn Hindenburg hat das möglich gemacht: »Ich kann gar nicht soviel fressen, wie ich kotzen möchte!«

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