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Aus: Ausgabe vom 28.10.2024, Seite 8 / Ansichten

Fälschen mit Augenmaß

Wahlen in Georgien
Von Reinhard Lauterbach
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Wo sind hier die russischen Fälscher? Stimmabgabe in der georgischen Provinz (26.10.2024)

Sicher, die Hand kann man für das Wahlergebnis vom Sonnabend nicht ins Feuer legen. Das liegt nicht daran, dass es in Georgien an einem funktionierenden Beamtenapparat nach westeuropäischem Vorbild mangelte; es liegt daran, dass die Kontinuität der Staatsräson, die in entwickelten parlamentarischen Systemen jeden Regierungswechsel übersteht und den Wahlausgang so spannend macht wie ein Fußballergebnis der Kreisklasse, sich in Georgien so noch nicht herausgebildet hat. Wenn dort eine Richtungswahl anstand, dann war es viel eher eine als die, die im Spätsommer für Thüringen oder Sachsen herbeigeschrieben worden ist. Ja, es stimmt, der Staatsapparat ist in den letzten zwölf Jahren von der Regierungspartei »Georgischer Traum« mit verlässlichen Menschen an den entscheidenden Stellen ausgestattet worden. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Ergebnisse nicht plausibel wären. Dafür sprechen einige Indizien.

Erstens der Amtsbonus der Regierungspartei. Wer bereits an der Macht ist, kann alle möglichen Zuckerstückchen verteilen: von einem Lebensmittelpaket für Rentner bis zu Baugenehmigungen. Zweitens das Ergebnis für die Hauptstadt Tbilissi. Sie galt als Hochburg der prowestlichen Opposition. Jetzt verzeichnet das amtliche Endergebnis für ­Tbilissi 45,8 Prozent für die vereinigten Proeuropäer und 45,54 Prozent für den »Georgischen Traum«. Das ist eine hauchdünne Mehrheit, beileibe kein Erdrutsch- oder Hochburgergebnis. Drittens hatte die Regierungspartei erklärt, eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit anzustreben. Dieses Ziel hat sie deutlich verfehlt. Wäre sie entschlossen gewesen, das Ergebnis auf jeden Fall zu ihren Gunsten zu drehen, hätte sie vermutlich auch die 67 Prozent zusammenschustern können. Hat sie aber nicht.

Aber unterstellt, die Wahlen wurden gefälscht, bedeutet das georgische Ergebnis: Auch Wahlfälscher können lernen. Weiter unterstellt, dass alle Fäden der Wahlfälschung in Moskau zusammenlaufen – was nicht erwiesen ist –, dann würde dies bedeuten, dass man sich dort darüber klar war, dass ein Ergebnis wie die Alexander Lukaschenko 2020 zugeschriebenen 80 Prozent sich politisch nicht würde halten lassen, ohne die georgische Opposition zu militanten Protesten geradezu aufzufordern. Unterstellt man also drittens, dass Russland in erster Linie an Stabilität in Georgien gelegen ist und nicht an einem wie auch immer etikettierten Regimewechsel, der mit ungewissem Ausgang niedergeschlagen werden müsste – dann hätten die mutmaßlichen Strippenzieher in Moskau ihre Lektion gelernt: es mit dem Nachhelfen nicht zu übertreiben. Georgien ist nicht Turkmenistan.

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  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (30. Oktober 2024 um 15:35 Uhr)
    Die größte russische »Wahlbeeinflussung«, die bis heute wirkt, wird nicht erwähnt: Das Ende des Traums von »Großgeorgien« mit dem zügigen Gegenangriff nach der von Saakaschwili befohlenen Attacke auf Zchinwal (Republik Südossetien) und die dortigen russischen »Mirotworzy« im August 2008. Und interessant: Man kann tatsächlich einen spekulativen Kommentar zu den klar vorhersehbaren »Protesten gegen Wahlfälschung« in Tbilisi schreiben und dabei die Eigeninteressen der georgischen Exporteure, der touristischen Vermieter, der Guides etc. unbeachtet lassen, last but not least die Kampagne des »Georgischen Traums« gegen die Hineinziehung des Landes in den Ukraine-Krieg. Chapeau!
  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (28. Oktober 2024 um 17:19 Uhr)
    Wie bei vielen Begriffen meint die westliche Wertewelt meist das ganze Gegenteil von dem, was sie demagogisch vorzugeben versucht. Hören wir sie nach Freiheit, Demokratie und Menschenrechten rufen und schreien, so meinen sie stets und immer ihre (!) Freiheit, Demokratie, Rechte zur Herrschaft über die Welt. Zahlreiche Völker und Staaten der Welt haben die schmerzhaftesten Erfahrungen damit spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts im imperialistischen Stadium des Kapitalismus gemacht und müssen es bis heute. Die Zerschlagung Jugoslawiens bis zur Zerschlagung der Sowjetunion ist beispielgebend für diese imperiale Politik, die von Tag zu Tag näher in einen dritten Weltkrieg treibt. Die Ukraine war das Ergebnis der aggressiven Weltherrschaftspolitik der USA, NATO und des Westens. An Georgien versuchen sich die westlichen Eroberungskräfte seit Jahren ohne den großen Erfolg.
    Noch ist ihr Mittel zum Zweck ihre »Demokratie« womit mit allen Mitteln der Einflussnahme ein genehmes Wahlergebnis den Weg bahnen soll, eine Konterrevolution einkalkuliert.
    Der US-Präsident Wilson sprach diese Politik bürgerlich-kolonialer Demokratie schon 1913 ganz offen aus: »Ich will die südamerikanischen Republiken lehren, sich brave Leute zu wählen.« Sind sie nicht willig und gehorsam, dann folgt die Gewalt. Es verwundert, wie oft und lange es immer wieder gelingt, Völker in ihr Elend der Abhängigkeit zu treiben, gegen ihre eigenen Interessen. Wo haben westliche Freiheit, Demokratie und Unabhängigkeit den Völkern je Frieden und Wohlstand gebracht? Was sehen wir am Beispiel des ukrainischen Volkes?
    Wie kann für Georgien besseres kommen, wenn die traditionellen Bindungen an Russland zerschlagen werden? Einmal mehr beweist sich die Tatsache, es geht nie um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Es geht um Herrschaftsinteressen.
  • Leserbrief von Torsten Preußing aus Berlin (28. Oktober 2024 um 17:12 Uhr)
    Es ist doch immer das Gleiche: Gehen Wahlen nicht nach den Wünschen und Erwartungen der USA, EU, also des wertegeleiteten Westens aus, werden sie sofort stimmgewaltig als gefälscht, gestohlen, manipuliert und/oder vom Russen gekauft verschrien. Aber wie war das vor einer Woche in Moldawien? »Hauchdünn gewonnen«, hieß es auf allen Kanälen, und der Rest war Schweigen. Denn die 50,4 Prozent für den Wahlsieger buchte der Westen als Gewinn für sich und als Erfolg der »Proeuropäer«. Ist es angesichts dieses wackeligen Votums nicht erstaunlich, dass nicht mal ein Ruf »Nachzählen« zu hören war. Oder gibt es in Moldawien im Gegensatz zu Georgien gar keine Opposition?
  • Leserbrief von Joachim Seider aus Berlin (28. Oktober 2024 um 16:57 Uhr)
    Ich habe vor vielen, vielen Jahren in diesem kleinen Ländchen im Kaukasus studiert, als es noch eine Sowjetrepublik war. Deshalb geht es mir auch heute noch sehr nahe, ob die Georgier sich, wie vom Westen gewünscht, gegen ihren großen nördlichen Nachbarn in Stellung bringen lassen. Oder sich mehrheitlich dafür entscheiden, von den unbestreitbaren Vorteilen zu profitieren, wenn man sich für ein gutnachbarschaftliches Verhältnis mit ihm entscheidet. Ich hätte schon vorher meinen (nicht vorhandenen) Hut dafür verwettet, dass der Westen die Wahlen für undemokratisch und gefälscht erklären würde, sollte bei den Georgiern der gesunde Menschenverstand siegen. Eine Wahl, die nicht die vom Westen erwünschten Ergebnisse erbringt, kann schließlich nicht korrekt verlaufen sein. Massivste Beeinflussung der Wählermeinung mit seinen Drohungen, den Beitrittsprozes zur EU auszusetzen, hat der Wertewesten natürlich nie vorgenommen: Der Russe war’s natürlich mal wieder, der da heimlich und unentdeckt mitgemischt hat. Darauf mein Pionierehrenwort! Als nächstes wird man – darauf könnte ich wetten – den »gerechten Volkszorn« ins Feld schicken. Man kennt das Muster noch aus Zeiten der Wahlniederlage von Donald Trump vor vier Jahren. Viel Glück dem kleinen, tapferen Volk zwischen Großem und Kleinen Kaukasus. Es möge diesen Kampf ohne merkliche Blessuren überstehen. Die Wunden der ersten großen Konfrontation mit Russland, in die die westlichen Großmächte Georgien vor eineinhalb Jahrzehnten getrieben haben, sind noch nicht verheilt. Es besteht keine Notwendigkeit, sie, um dem Westen zu gefallen, zum Schaden des eigenen Volkes zu wiederholen. Wie tröstlich, dass das auch die Mehrheit der georgischen Wähler so gesehen hat.

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