75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 16. / 17. November 2024, Nr. 268
Die junge Welt wird von 2983 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 16.11.2024, Seite 1 / Titel
Industriegipfel

Der Karren steckt im Dreck

Bundeskanzler lädt erneut zum Industriegipfel. Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft trüben sich weiter ein
Von David Maiwald
imago57910730.jpg
Nix zu lachen: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen)

Vom »Industriegipfel« im Kanzleramt wurden keine Ergebnisse erwartet. Untersuchungen zur Lage der deutschen Wirtschaft fielen am Freitag erwartbar schlecht aus. So bescheinigte die EU-Kommission der BRD einmal mehr, sie hinke der Wirtschaftsleistung (BIP) der EU-Staaten hinterher. Denn während die Kommission der EU insgesamt ein Wachstum von 0,9 Prozent für 2024 bescheinigt, rechnet sie hierzulande mit einem Rückgang von 0,1 Prozent. Im Mai hatte sich das Gremium noch ein winziges Wachstum von 0,1 Prozent für die deutsche Wirtschaft erdacht.

Es brauche »kurzfristig neue Impulse, damit es wieder bergauf geht«, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erwartbar ergebnisoffen nach seinem »Industriegipfel«. Er wolle die Stromnetzentgelte deckeln und Strafzahlungen der EU für CO2-Flottengrenzwerte erwirken, ließ sich dann am Freitag noch aus einer Mitteilung der Bundesregierung entnehmen. Ob diese noch eine Mehrheit für politische Maßnahmen erzielen kann, ist aktuell mehr als fraglich – die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner erhob die Vorhaben des Kanzlers nach dem Gipfel als Forderungen; es gehe um die Zukunft der Beschäftigten »und die Zukunft der deutschen Wirtschaft«.

Grund für die Flaute sind laut EU-Kommission schwache Absätze der Industrie. »Trotz« eines angeblichen Anstiegs der Realeinkommen könne der private Konsum das Wachstum in Deutschland nicht stützen. Übersetzt: Die Kommission nimmt an, die Bevölkerung habe mehr Geld zur Verfügung, und wundert sich, dass es nicht ausgegeben wird. Von einer »hohen Sparquote« ist die Rede. Dem Statistischen Bundesamt zufolge gab es im dritten Quartal des laufenden Jahres mit 46,1 Millionen Personen nur 23.000 Erwerbstätige mehr als im Vorquartal – ein saisonbereinigter Rückgang um 0,1 Prozent, also 45.000 Erwerbstätige.

Auch das Münchner Ifo-Institut beklagte am Freitag eine »anhaltende Kaufzurückhaltung«, die sich belastend auf die Umsätze der hiesigen Unternehmen auswirke. Wegen anhaltend »hoher Energiekosten und wachsender internationaler Konkurrenz« berichteten den Wirtschaftsforschern immer mehr Betriebe, um ihre wirtschaftliche Existenz zu fürchten: Ihr Anteil stieg im Oktober demnach auf 7,3 Prozent. Der »kontinuierliche Anstieg« der Anzahl zahlungsunfähiger Betriebe »dürfte sich fortsetzen«.

Mehr Erwerbslose, dadurch weniger Kaufkraft und weniger Produktabsatz der Betriebe, die weniger Umsatz machen und von denen dann mehr in die Insolvenz rutschen: eine ausgemachte Wirtschaftskrise. Alleine in der Industrie und im Baugewerbe ging die Zahl der Beschäftigten dem Statistischen Bundesamt zufolge innerhalb eines Jahres um 1,1 Prozent, also 30.000 Personen, zurück. Und es sind weitaus mehr angekündigt, in nahezu allen Bereichen der Industrie.

Nicht zuletzt die Autobranche, Zugpferd der BRD-Wirtschaft, gerät aktuell im Vergleich zur chinesischen Konkurrenz ins Hintertreffen. Allein hier könnten 130.000 Erwerbsstellen wegrationalisiert werden, schätzte kürzlich die Deutsche Bank. Wie auch beim Thyssen-Krupp Standort in Duisburg hängen an der Autoindustrie ganze Regionen. Allein die drei Zulieferer ZF Friedrichshafen, Bosch und Schaeffler werden in den kommenden Jahren bis zu 17.000 Stellen kürzen. Da helfen auch keine Kaufprämien für E-Autos mehr: Der Karren hat sich festgefahren.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Brüssel ist nun befugt, Zölle im Alleingang einzuführen: Autoter...
    05.10.2024

    Kanzlers Basta verpufft

    E-Autos aus China: EU-Staaten stimmen für neue Zölle, Handelskrieg droht. Scholz brachte Regierung zuvor mit Machtwort auf Linie
  • Wann wir schreiten Seit’ an Seit’: Bundeskan...
    10.03.2015

    Kurs Fernost

    BRD und EU wollen ihre militärpolitische Zusammenarbeit mit den Ländern Asiens ausbauen. Letztlich hat man dabei den Konkurrenten China im Blick
  • Weltweit auf Beutezug: Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (F...
    14.09.2012

    Enger Schulterschluß

    Hintergrund. Angetrieben von der Industrie arbeitet die Regierung Merkel mit Hochdruck an einer »deutschen Rohstoffstrategie«. Die Kanzlerin sieht darin »eine klassische Querschnittsaufgabe« und setzt auf interministerielle Zusammenarbeit

Regio: