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Aus: Ausgabe vom 16.11.2024, Seite 3 / Kapital & Arbeit
Rohstoffsouveränität

Erzgebirge statt China

Unter anderem in Sachsen setzt Deutschland auf heimische Lithiumproduktion. BDI fordert Maßnahmen gegen Rohstoffabhängigkeit
Von Frederic Schnatterer
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Lithiumhaltiges Thermalwasser kommt in Behältern nach Hoechst zur Herstellung von Elektroautobatterien

Deutschland als Lithiumproduzent? Das könnte bereits in wenigen Jahren Realität werden. Am Freitag der vergangenen Woche hat das australische Unternehmen Vulcan Energy Resources in Hoechst, einem Stadtteil von Frankfurt am Main, eine Demonstrationsanlage in Betrieb genommen, die Lithiumhydroxid fertigen kann. Die industrielle Produktion des Leichtmetalls, das unter anderem für die Herstellung von Elektrobatterien und Lithium-Ionen-Speichern für die Speicherung von Energie aus erneuerbaren Quellen zentral ist, soll dort 2027 beginnen.

Gewonnen wird das Lithium aus Thermalwasser aus dem Oberrheingraben in Rheinland-Pfalz im Landkreis Landau. Besonders »nachhaltig« solle die Produktion in Hessen sein, zitierte die Frankfurter Rundschau den Chef des Unternehmens, Cris Moreno, am Mittwoch. Die benötigte Energie werde mit der Soleförderung CO2-frei mit Geothermieheizkraftwerken gewonnen. Bereits jetzt hat das Unternehmen Abnahmevereinbarungen mit den Autobauern Volkswagen, Stellantis und Renault, dem Batterieproduzenten LH Energy sowie dem Kathodenhersteller Umicore geschlossen.

Nicht nur in Rheinland-Pfalz, auch im sächsischen Erzgebirge soll noch in diesem Jahrzehnt Lithium gewonnen werden. In Altenberg an der Grenze zu Tschechien, wo noch bis kurz nach dem Anschluss der DDR Zinn abgebaut wurde, liegen geschätzte 429.000 Tonnen des Leichtmetalls. Das macht die Vorkommen zu den zweitgrößten in Festlandeuropa. Abbauen möchte sie die Zinnwald Lithium GmbH, die zu einem Londoner Unternehmen gehört. Wann genau in der traditionellen Bergbauregion mit dem Lithiumabbau begonnen werden kann, ist noch unklar.

Die Projekte stehen exemplarisch für die Strategie, Deutschland »rohstoffsouveräner« zu machen. Mit Vehemenz pochte darauf zuletzt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am Montag bei seinem »Rohstoffkongress« in Berlin, der unter dem Motto »Mehr Rohstoffsouveränität wagen« stand. In der hippen Veranstaltungslocation »Heeresbäckerei« im Stadtteil Kreuzberg hatten sich, so die Presseerklärung des BDI, 400 »Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft« zum Lobbyistentreff zusammengefunden.

In seiner Eröffnungsrede gab BDI-Chef Siegfried Russwurm den Takt für den Kongress vor. Er erklärte, Deutschlands »Versorgungssicherheit« sei »mehr gefährdet als je zuvor«. In den vergangenen Jahren seien die Abhängigkeiten »nicht geringer geworden – im Gegenteil«, meinte er. Und: »Deutschland und Europa fallen im globalen Wettbewerb um strategisch wichtige Rohstoffe zunehmend zurück. Diesen Trend müssen wir umkehren.« Das gelte insbesondere für die sogenannten kritischen Rohstoffe, wo die Abhängigkeiten heute »so hoch wie nie« seien, so Russwurm weiter. Neben einer Steigerung der heimischen Rohstofförderung und -verarbeitung sei die Stärkung bestehender und neuer Rohstoffkooperationen sowie »technologische Innovationen«, so beispielsweise ein Ausbau der Kreislaufwirtschaft, notwendig.

In einer beim »Rohstoffkongress« vorgestellten Studie, die vom BDI bei der Unternehmensberatung Roland Berger in Auftrag gegeben worden war, heißt es, diese sogenannten kritischen Rohstoffe seien zentral für Dekarbonisierung und Digitalisierung. »Der Wohlstand unserer Industrienation hängt entscheidend davon ab, wie erfolgreich wir die doppelte Herausforderung von Dekarbonisierung und Digitalisierung bewältigen. Beides steht und fällt mit einer sicheren und stabilen Versorgung kritischer Rohstoffe.«

Bislang kommt der Großteil des Bedarfs gerade an metallischen Rohstoffen und weiteren Mineralien der deutschen Industrie aus dem Ausland. Für Lithium dröselt die Studie diese Abhängigkeit besonders detailliert auf. Das Leichtmetall importiert Deutschland derzeit zu großen Teilen aus Chile, Australien und China. Vor allem der Import von weiterverarbeiteten Lithiumprodukten wie Akkumulatoren und Batterien aus der Volksrepublik steigt laut der Studie stark an. Kamen 2014 noch 18 Prozent der Lithiumakkus in Deutschland aus China, sind es 2024 bereits 50 Prozent. Auch die Grünen-Politikerin Franziska Brantner, die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium ist, gab auf dem Kongress zu bedenken, dass Deutschland in den vergangenen zwei Jahren »nicht weniger abhängig von China« geworden sei, »sondern mehr«.

China, das wissen natürlich auch die Lobbyisten vom BDI, eignet sich heute besonders gut als Schreckgespenst, mit dem die Forderungen nach einem »entschiedenen und konkreten Handeln« (Russwurm) unterstreicht werden können. Der BDI-Chef warnte sodann auch davor, dass »autokratische Regime« im »Wettbewerb der Systeme« ihre Monopolstellung bei einzelnen Rohstoffen »immer häufiger« nutzten, »um aus geopolitischem Kalkül in das Marktgeschehen einzugreifen«. »Deutsche Unternehmen, in der Marktwirtschaft und im Multilateralismus fest verankert, haben es mit staatlichen Wettbewerbern zu tun, die nach eigenen Regeln handeln«, so die Feststellung.

Die Schlussfolgerung des BDI: »In diesem Umfeld funktionieren rein privatwirtschaftliche Lösungen nicht«, so BDI-Chef Russwurm. Heißt: Die Bundesregierung müsse »endlich mehr in die Rohstoffsicherheit investieren«. Zumindest im Fall des Erdwärmeprojekts von Vulcan Energy in Rheinland-Pfalz, aus dessen Grundwasser wiederum das Lithium gewonnen werden soll, hat Wirtschaftsminister Robert Habeck sich den Appell zu Herzen genommen. Am Dienstag sagte er dem Unternehmen eine staatliche Förderung zu, die im Jahr 2026 rund 22 Millionen und im Jahr 2027 weitere 78 Millionen Euro betragen soll. Denn, wie Vulcan-Energy-Boss Moreno bereits zuvor erklärt hatte, das Projekt sei »von entscheidender Bedeutung für die Widerstandsfähigkeit der Batteriewertschöpfungskette in Deutschland und Europa«.

Hintergrund: Rohstoffe und Kriege

Der »Rohstoffkongress« des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) fand vor dem Hintergrund sich zuspitzender internationaler Verwerfungen statt. Die Zeit des neoliberalen Freihandels scheint endgültig vorbei. An seine Stelle treten zunehmend Protektionismus und über Zölle und Sanktionen ausgetragene Wirtschaftskonflikte. Die deutsche und die europäische Wirtschaft drohen im sich zuspitzenden Konflikt zwischen den USA und China aufgerieben zu werden.

Am Montag erklärte BDI-Chef Siegfried Russwurm, in Zeiten »zunehmender geopolitischer Polarisierung« würden »aus theoretischen schnell praktische Risiken«. Diese Entwicklung dürfte der Sieg von Donald Trump bei der Präsidentenwahl in den USA noch einmal beschleunigen. Trump hatte im Wahlkampf neue Zölle von zehn bis 20 Prozent auf Importe aus der EU und 60 Prozent auf alle chinesischen Importe angekündigt. Staatssekretärin Franziska Brantner erklärte: »Wir müssen davon ausgehen, dass der Konflikt zwischen den USA und China in Zukunft größer werden wird – und wir werden darunter leiden.« Marcus Berret von der Unternehmensberatung Roland Berger ließ sich sogar dazu hinreißen, die Vereinigten Staaten als »neuen systemischen Rivalen« zu bezeichnen.

Aus Wirtschaftskriegen können schnell echte Kriege entstehen. Darauf stellt sich die deutsche Industrie ein, wie sie am Montag immer wieder klarmachte. Besonders deutlich wurde das beim Panel »Kriegstüchtigkeit und kritische Rohstoffe – zwei Seiten einer Medaille«, wo für die »militärische Stärke, abschreckungsfähig zu sein«, und »die gesellschaftliche Resilienz, durchzuhalten«, getrommelt wurde. »Wir müssen auch in der Lage sein, einen Konflikt durchzuhalten, der mal drei bis fünf Jahre dauert«, erklärte Manfred Hader von Roland Berger. Mit wem ein solcher »Konflikt« droht, ließen die Kongressteilnehmer offen. (fres)

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