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Aus: Ausgabe vom 16.11.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Der römische Traum

Historismus und Endzeitlogik: Ridley Scott liefert »Gladiator II«
Von Maximilian Schäffer
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Mit Cicero und Senator Plinius denken wir, Gladiatorenkämpfe sind für die Zuschauer die beste Abhärtung

Am 30. November wird Regisseur Ridley Scott 87 Jahre alt. Nicht, dass ihn sein hohes Alter per se für diese Arbeit disqualifizierte, doch ist es bezeichnend für Hollywood und sein Gefüge, dass der neue Wein lieber in sehr alte Schläuche gegossen wird. Im Falle von »Gladiator II« aber, ist sogar der Wein selbst gut 2.000 Jahre alt, beruft man sich auf römische Historiker und deren Überlieferungen von rebellischen Kampfsklaven. Der prominenteste unter ihnen ist Spartacus, zu dem Stanley Kubrick und Dalton Trumbo bereits 1960 filmisch alles gesagt hatten (Kubrick distanzierte sich später freilich von »seinem« Film). Im Jahr 2000 wollte Ridley Scott dann doch noch etwas zum Thema beitragen, aber außer geilen Muskeln und modernisierten Spezialeffekte kam herzlich wenig dabei rum. »Gladiator« mit Russell Crowe in der Haupt- und Ralf Moeller in einer Nebenrolle, war als Blockbuster vor allem für hohle Gaffer und 457 Millionen Dollar Kassenflut gut. Dass diese Schweiß- und Blutorgie nun eine Fortsetzung verlangt, ist der endzeitlichen Logik der Filmindustrie zu verdanken. Merke: Jeder Kassenschlager braucht eine Serie, aus der dann neue Filme entstehen, aus der dann wieder eine Serie entsteht. Nichts darf jemals auserzählt sein, selbst wenn Wikinger, Elfen, Motorradbanden oder eben Gladiatoren irgendwann auf dem Dialogniveau der Lindenstraße einander befaseln.

Vorab: Ganz so schlimm ist es bei »Gladiator II« nicht gekommen. Das liegt vor allem an den Leistungen der Schauspieler, allen voran Denzel Washington als Gladiatorenmeister Macrinus. Der fast 70jährige darf äußerst theatralisch agieren, Scott erlaubt ihm Ausreißer ins Charakterfach, wie es eher zum Film der 1960er Jahre passt. Affektiert und flamboyant, mit dem Akzent der britischen Queen auf den Lippen, schmachtet der intrigante Emporkömmling Macrinus durch die Szenerie. Washington provoziert eine ansehnliche sexuelle Ambivalenz, die das Oberschichtentuntige seiner Figur weder verdammt noch besonders sympathisch macht. Seinen Kollegen wiederum, den syphilitischen Kaiserzwillingen Caracalla und Geta, gespielt von Fred Hechinger und Joseph Quinn, kauft man die Exzentrik nicht ab. Ihre chronische Widerwärtigkeit rutscht von der ersten Minute an ins Grimassenhafte. Womit auch die Leistung des Hauptdarstellers Paul Mescal gut beschrieben wäre. Sein Spartacus-Verschnitt namens Hanno trägt die Bedeutungsschwere des großen Mannes 148 lange Minuten lang im Gesicht. Dabei bleibt es – neben ein paar Ächzern und Stöhnern und hohlen heroischen Monologen.

Worum geht es also in »Gladiator II«? Neben ganz viel hässlichen Computereffekten, inklusive Nashörnern und Haien im Kolosseum, geht es um den imperialen wie republikanischen Charakter Roms. Die Vokabel »römischer Traum« lässt Scott reichlich unsubtil ein Dutzend Mal wiederholen, bis auch der letzte Pfosten verstanden hat, dass es sich hier um eine Analogie zum »amerikanischen Traum« handelt. Das Imperium ist im Wanken, die Eroberungskriege importieren mehr Probleme als Vorteile. Die Bevölkerung verarmt, während sich die oberen Zehntausend in grausamen Spielen ergehen. Hanno wird aus Numidien importiert, er ist Beutesklave. Was keiner weiß: In seinen Adern fließt blaues römisches Blut. Insgeheim ist er mit dem Helden aus dem ersten Teil verwandt. Weil Blut kein Wasser ist, wird der Gladiator zum Helden – die Grausamkeiten zwischendurch sind Mittel zum Zweck für die retrorömische Leinwand. Köpfe kullern, roter Saft sprudelt aus Arterien, Wunden klaffen – Gaffen ist zeitlos.

Der Brite Ridley Scott hat sich entschlossen, seinen Beitrag zum öffentlichen Diskurs (US-Wahl, Trump, Diktaturhysterie) erwartbar konservativ zu gestalten. Bei genauerem Hinsehen ist das genauso reaktionär, wie man es von den amerikanischen Demokraten gewohnt ist. Während der schwarze Exsklave Rom brennen sehen will, darf der adlige Gladiator den vernünftigen Reformer geben. Das Imperium muss um jeden Preis bestehen, es fußt doch auf guten Ideen? Das sind nicht nur die Ängste alter Männer, es sind auch die Ängste einer hegemonial und imperialistisch agierenden Unterhaltungsindustrie, die sich und ihre Konsumenten nur noch ruhig stellt. Hollywood formuliert seine Krise selbst – schon einmal ging es an selbstherrlichen Sandalenfilmen fast zu Grunde.

»Gladiator II«, Regie: Ridley Scott, UK/USA 2024, 148 Min., bereits angelaufen

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