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Aus: Ausgabe vom 16.11.2024, Seite 10 / Feuilleton
Wahre Begebenheiten

Heimweg

Von Felix Bartels
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Für Obdachlose eine von wenigen Zufluchten im Winter: S-Bahn

Das Allgemeine ist besonders, das Besondere allgemein. Manchmal trifft man diese kleinen Dinge, die das Ganze enthalten. Auf dem Heimweg etwa. Ein Mann hält die Tür der S-Bahn auf, sie an der Weiterfahrt zu hindern. Im Wagon liegt bewusstlos ein Betrunkener. Krankenwagen ist gerufen, allein aber kann der Mann den Liegenden nicht hinausbringen. Fährt die Bahn ab, geht die Sache von vorn los. Ich biete Hilfe an, derweil ein Dritter sich einschaltet. Als Sachwalter aller anderen Fahrgäste erregt er sich. Leute am Heimweg hindern, asozial. Der Adressierte, etwas plump: »Na, wenn Sie das so sehen, können Sie auch gleich AfD wählen.« Der Kritiker, in dessen zerfurcht-hartes Antlitz die Sorgen aus dreieinhalb Jahrzehnten Steuererklärung geschrieben stehen, empört sich. Er sei kein AfD-Wähler, und der Ohnmächtige doch wohl selbst schuld an seiner Lage. Von seinem Sitzplatz ruft er: »Leute wie Sie sind der Grund, warum es mit diesem Land bergab geht.« In der Tat, gemeint war der Mann, der einem Hilflosen helfen wollte. Wäre ich schlagfertig, hätte ich geantwortet: »Sind Sie sicher, dass Sie kein AfD-Wähler sind?« Die besten Antworten fallen einem ja immer erst danach ein. Ein vierter kommt hinzu, knufft mich gegen die Schulter: »Schluss mit dem Geschwafel, du links, ich rechts.« Und zwei Schutz‑engel, die als Menschen echt verschwendet sind, schleppen den Betrunkenen aus dem Wagon, kurze Zeit später erscheinen die Sanitäter am Bahnsteig.

Ein wenig beschäftigt das Begebnis mich noch. Irgendwie steht jener Bürger in Sorge doch für eine breite Stimmung, weit hinaus über eine Partei. Egoismus artikuliert sich selten hemmungslos. In der Regel wirft er sich in die Pose einer Sorge ums Allgemeinwohl. Mit vielen Namen. Querdenken, Klimaskepsis, Schuldenbremse, Steuersenkung. Es ließe sich fortsetzen, aber die Spalte ist voll.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Norbert S. aus München (16. November 2024 um 06:33 Uhr)
    Solche Leute sind – und nicht als Beleidigung gemeint, sondern im Wortsinn – selber absolut a-sozial, extrem sogar. Das geht – ähnlich wie bei den Querquatscharschlöchern – auch weit über Egoismus hinaus. Dieses typische, hier buchstäbliche Treten nach unten … quasi verhinderte Kapitalisten, d. h. ohne Kapital und Charaktermaske, aber der gleiche unerträgliche Menschentyp, mit in diesem Falle sogar – nur theoretisch, in einem Unrechtsregime wie unserem nicht praktisch – strafrechtlich justitiablem Verhalten. Wirklich ekelhaft, wenn mensch gezwungen ist, mit solch a-sozialen, bosdummen Pack in einer Gesellschaft zusammen zu leben. Wenn mensch schlagfertig wäre, könnte er auch antworten: »OK, danke, dann weiß ich Bescheid: Wenn ich Sie in so einer Situation finden sollte, lasse ich Sie in ihrer Pisse, Scheiße und Kotze verrecken. SEHR GERN geschehen!«

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