Auf die brasilianische Art
Von Frederic SchnattererAnfang der Woche meldeten deutsche Medien euphorisch: »Seidenstraße: Brasilien erteilt Handelsabkommen Absage und verärgert China« (Handelsblatt), »Das ist der nächste Rückschlag für China« (Welt), »Chinas Niederlage könnte ein Sieg für Europa sein« (FAZ). Zuvor hatte Celso Amorim, seines Zeichens außenpolitischer Berater des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, erklärt, Brasilien werde dem chinesischen Megainfrastrukturprojekt »One Belt, One Road« nicht beitreten. Eine Teilnahme an der Initiative, die auch als »Neue Seidenstraße« bezeichnet wird, hätte nach dem Willen des chinesischen Staatschefs Xi Jinping dieser Tage im Rahmen seines Staatsbesuchs in Brasilien formalisiert werden sollen.
Bürgerliche Blätter in Deutschland wollen glauben machen, die Entscheidung sei eine gegen China. Das ist in ihrem einfachen Weltbild gleichbedeutend mit »für den Westen«. Allerdings zeigt die Episode kurz vor dem G20-Gipfel in Rio de Janeiro erneut: Die Lula-Regierung setzt auf eine souveräne Außenpolitik, die sich an den eigenen Interessen orientiert.
Der Beitritt zur »Neuen Seidenstraße«, in deren Rahmen vor allem Infrastrukturprojekte gefördert werden, die wiederum den Handel zwischen China und anderen Weltregionen stärken sollen, widerspreche den brasilianischen Interessen in Teilen, sagte Amorim. Die Teilnahme, kritisierte Lulas außenpolitischer Berater kürzlich, würde Brasilien auf eine Rolle als Rohstofflieferant reduzieren. Statt dessen pocht die brasilianische Regierung auf Zugang zum chinesischen Markt für eigene Technologieprodukte. Allgemein soll die Wertschöpfung im Land vorangetrieben werden.
In diesem Jahr feiern Beijing und Brasília die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor 50 Jahren. In der Tageszeitung China Daily hieß es dazu am Dienstag, die Volksrepublik hoffe auf 50 weitere »goldene Jahre« – eine Hoffnung, die auch Lula und Amorim teilen dürften. Denn Brasilien, das machte der außenpolitische Berater des Präsidenten deutlich, ist weiter an einem intensiven Austausch mit China interessiert – nur eben nicht ausschließlich mit China. Die Volksrepublik ist der wichtigste Handelspartner der Südamerikaner, die vor allem Nahrungsmittel, Öl und Erze nach Asien exportieren. China verzeichnet sogar ein Handelsdefizit gegenüber Brasilien.
Auch gegenüber anderen Weltmächten neigt Brasília nicht zu Blockdenken. Statt sich dem Druck der USA und deren Verbündeten zu beugen, setzt Lula im Ukraine-Krieg auf eine baldige Beendigung des Konflikts. Zwar kritisierte er Russland für seinen Einmarsch deutlich, schloss sich den Sanktionen des Westens jedoch nie an. Auch Washington und die NATO macht er für den Ausbruch des Krieges verantwortlich. Gemeinsam mit China arbeitete die brasilianische Regierung im Mai einen Friedensplan aus, der Verhandlungen entlang von sechs Punkten vorsieht, mit dem Ziel, eine weitere Eskalation des Krieges zu verhindern.
Ob vom Nein zur »Neuen Seidenstraße« nun »ein Signal an Europa« ausgeht, »die vielleicht letzte Gelegenheit wahrzunehmen, um das seit mehr als 20 Jahren in der Schwebe hängende Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Mercosur-Block abzuschließen«, wie es die FAZ hofft, bleibt abzuwarten. An Brasilien hängt der Erfolg des Abkommens ohnehin nicht, Widerstand kommt zuletzt vor allem aus Frankreich. Lula spricht sich hingegen seit geraumer Zeit offensiv für den Abschluss des Abkommens aus. Ewig auf die EU warten wird er allerdings nicht.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (19. November 2024 um 20:32 Uhr)Das Mercosur-Freihandelsabkommen soll also im Gegensatz zur »Neuen Seidenstraße« Zugang zum europäischen Markt für eigene Technologieprodukte bilden? Dann muss Herr Lula andere Berater haben als ich: »Die Mercosur-Länder unterstützen wir nachhaltig nur, wenn wir Partnerschaften auf Augenhöhe anbieten, zum Beispiel durch gemeinsame Projekte zu Agrarökologie und Waldschutz oder Technologietransfer für die Energiewende. Das EU-Mercosur-Abkommen macht all das jedoch nicht. Es konterkariert diese Ziele vielmehr.« (https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/waelder/waelder-erde/eu-mercosur-abkommen)
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