Hauptstadt ohne Vision
Von Max OngsiekDer Berliner Kürzungshaushalt steht. Den präsentierten am Dienstag die Koalitionsspitzen von CDU und SPD. Wie schon am Wochenende durch eine vorläufige Liste bekannt wurde, fallen der riesigen Haushaltslücke von rund drei Milliarden Euro an erster Stelle der Verkehrs- und Umweltetat zum Opfer: Das Budget der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr und Umwelt soll demnach um rund 18,5 Prozent, 660 Millionen Euro, zusammengestrichen werden. Der Bildungsetat büßt 370 Millionen Euro ein, gefolgt vom Wirtschaftsetat unter Verwaltung von Senatorin Franziska Giffey (SPD) mit rund 143 Millionen Euro. Da beim Kulturetat mit 130 Millionen Euro ganze zwölf Prozent der bisherigen Förderung wegfallen, kündigten Berliner Kulturschaffende noch für Dienstag abend Proteste in der Hauptstadt an. Auch die Abschaffung des vergünstigten 29-Euro-Tickets für den Berliner Stadtverkehr hatte seit dem Wochenende für Unmut gesorgt.
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) gab sich zufrieden. Man habe intensiv verhandelt und das ganz ohne große politische Diskussion der beteiligten Politiker, erklärte er in der Pressekonferenz am Dienstag. So habe sich die »schwarz-rote« Koalition bei den Kürzungen für den Sicherheitsetat – der die Finanzierung von Polizei, Feuerwehr und Justiz betrifft – auf einen besonders schonenden Umgang einigen können. Zu den »drei klaren Prioritäten« der Senatsregierung habe daneben auch der Bildungsetat sowie der »soziale Zusammenhalt in dieser Stadt« gehört, so Wegner. Wirtschaftssenatorin Giffey stellte »Einnahmeerhöhungen« und »alternative Finanzierung« in den Vordergrund. So werde etwa die Übernachtungssteuer »City-Tax« für Touristen, von fünf auf 7,5 Prozent steigen, berichtete der Tagesspiegel. Der Senat erklärte, der Haushalt werde Berlin nun »zukunfts- und funktionsfähig« gestalten.
Das sehen längst nicht alle so. Die Kürzungen zeigten, »dass es der Berliner Regierung an jeder Zukunftsvorstellung fehlt«, erklärte Carla Reemtsma, Sprecherin von Fridays for Future Berlin, am Dienstag gegenüber jW. Anstatt »eine klimaneutrale und soziale Stadt mit kurzen Wegen, viel Grün und günstiger Mobilität« zu schaffen, verfolge der Senat »völlig ambitionslos eine Autopolitik aus den 90ern«. Die ersatzlose Abschaffung des 29-Euro-Tickets sei »eine verheerende politische Niederlage für die «schwarz-rote» Koalition und ein Ausweis ihrer finanz- und verkehrspolitischen Inkompetenz«, erklärte auch Kristian Ronneburg, verkehrspolitischer Sprecher von Die Linke im Abgeordnetenhaus. Die Gewerkschaft Verdi fühlte sich schon am Montag in »kaputtgesparte« »Sarrazin-Jahre« zurückversetzt und forderte »ein Ende der Schuldenbremse und eine Reichensteuer, um die gesellschaftlichen Herausforderungen zu finanzieren«.
Bei der Senatsregierung stößt das auf taube Ohren. So habe es vor allem »aufgeblähte« Bereiche getroffen, behauptete Wegner. Seine Wirtschaftssenatorin vollführte ein Glanzstück in sozialer Spaltung: Vor die Wahl »kostenloses Schulessen und kostenloses Schülerticket für 300.000 Schüler« oder 29-Euro-Ticket gestellt, habe man sich »am Ende für die Kinder und Familien entschieden«. Der Preis für das aktuelle Neun-Euro-Sozialticket werde allerdings auf 19 Euro erhöht werden müssen. Für die SPD-Wirtschaftssenatorin aber noch immer »ein vergleichsweise niedriger Betrag« und »ein klares Bekenntnis zur sozialen Stadt«. Die SPD habe damit ihr zentrales Versprechen gehalten, erklärte Landesvorsitzende Nicola Böcker-Giannini. Die Berliner hätten jetzt »Planungssicherheit«.
Die hat jetzt auch der Kulturbereich. Zwar würden die Kürzungen »schmerzen«, der Etat habe aber immerhin noch ein Gesamtvolumen von einer Milliarde Euro, befand Bürgermeister Wegner. Das sei mehr als unter dem damaligen SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit; und da sei Berlin schließlich schon Kulturmetropole gewesen. Wichtig sei nun, wie die jeweiligen Häuser »noch wirtschaftlicher« arbeiten könnten: Das Berliner Ensemble werde in den nächsten zwei Spielzeiten mindestens fünf Produktionen streichen, hatte Intendant Oliver Reese bereits angekündigt.
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