Hilfskonvoi geplündert
Von Jörg TiedjenIn Gaza herrscht die nackte Not. Schon seit 45 Tagen dauert die israelische Offensive im Norden des Küstenstreifens an, die insbesondere in der Ortschaft Beit Lahija und im Flüchtlingslager Dschabalija Verwüstungen von katastrophalem Ausmaß verursacht hat. Tor Wennesland, der Nahostbeauftragte der UNO, sagte dazu am Montag abend vor dem Sicherheitsrat in New York, die derzeitigen Bedingungen in Gaza gehörten »zu dem Schlimmsten, was wir während des gesamten Krieges gesehen haben«. Auch die Staatengruppe der G20 nahm auf ihrem Gipfel in Rio de Janeiro Stellung und forderte in ihrer am Montag verabschiedeten Abschlusserklärung Israel auf, die humanitäre Hilfe dringend auszuweiten.
Israels extrem rechter Finanzminister Bezalel Smotrich rief unterdessen am Montag laut dem libanesischen Sender Al-Majadin auf einer Versammlung seiner Partei Tkuma erneut zu einer vollständigen Besetzung Nordgazas auf. Auf diese Weise solle die Hamas zur Freilassung aller Geiseln gezwungen werden, die sich noch in ihrer Hand befänden. Einen Waffenstillstand lehnte er ab. »Eine Einigung mit der Hamas zur Beendigung des Krieges würde eine Kapitulation und eine Niederlage bedeuten«, betonte er. »Wir werden so lange weitermachen, bis die Hamas beseitigt ist und ein Abkommen geschlossen wird, mit dem sie sich ergibt. Wir werden nicht aufhören, bis unsere Feinde vernichtet sind und die Sicherheit des Staates Israel vollständig wiederhergestellt ist«, sagte Smotrich.
Allerdings wurde inzwischen von einem erstaunlichen Stillhalten der israelischen Armee gegenüber der Hamas berichtet. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza vom Montag sollen Hamas-Kämpfer am Sonnabend im Süden des Küstenstreifens mindestens 20 Menschen wegen der Plünderung eines Hilfskonvois von insgesamt 150 Lkw getötet haben. Die Armee habe dabei laut dpa nicht eingegriffen. Augenzeugen zufolge sollen Hamas-Einheiten auf Motorrädern, unbehelligt von der Besatzungsmacht, durch die Straßen gefahren sein, um die Übeltäter zu bekämpfen, bei denen es sich um »Bandenmitglieder« gehandelt habe.
Der Hintergrund der Vorfälle bleibt jedoch unklar. Nach Aussage des UN-Sprechers Stéphane Dujarric vom Montag hätte der Konvoi erst am Sonntag nach Gaza durchgelassen werden sollen. Israels Armee habe die Verantwortlichen aber kurzfristig schon am Vortag angewiesen loszufahren und ihnen eine wenig bekannte Route zugeteilt. In Onlinemedien wurde zudem berichtet, dass in Gaza operierende Banden mit der Besatzungsmacht gemeinsame Sache machten. Die Hamas habe sie angegriffen, nachdem die Kommunikation zwischen ihnen und dem israelischen Inlandsgeheimdienst Schin-Bet abgehört worden sei.
Der israelischen Ultrarechtsregierung dürften die Geschehnisse vom Wochenende in jedem Fall gelegen kommen. Sie behauptet ohnehin, dass Hilfsorganisationen nicht in der Lage seien, große Mengen Lebensmittel an die Bevölkerung in Gaza zu verteilen. Insbesondere die UNRWA ist Israel ein Dorn im Auge und wurde inzwischen de facto für illegal erklärt. Das liegt aber nicht an von Israel immer wieder vorgebrachten, bis heute unbewiesenen Verbindungen zwischen Hamas und UNRWA, sondern daran, dass die UNO und ihr Hilfswerk nach wie vor an einer Rückkehr vertriebener Palästinenser in ihre Heimat festhalten. Das widerspricht aber der von Israel vorangetriebenen Annexionspolitik.
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