»Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts«
Interview: Andreas MüllerAm Mittwoch wurde eine Website freigeschaltet, die zeigt, wo und wie Fußballplätze im deutschen Faschismus zu Zwangsarbeitslagern umfunktioniert wurden. Wie groß ist das Ausmaß des Missbrauchs von Sportstätten durch die Nazis?
Bisher wissen wir, dass mindestens 170 Sportplätze in Deutschland und Österreich als Standorte für Zwangsarbeitslager genutzt wurden. Die Spanne reicht geographisch von Kiel bis Wien, vom Dorf- bis zum Großstadtverein. Dieses Ausmaß war bisher unbekannt, ist aber aus historischer Sicht relativ leicht zu erklären. Viele Sportvereine, beispielsweise Arbeitersportvereine, wurden von den Nazis sukzessive verboten. Außerdem waren die meisten Männer an der Front, so dass die weiter erlaubten Sportvereine kaum noch Aktive hatten. Sportplätze waren weitgehend als Freiflächen verfügbar, um sie anderweitig zu nutzen.
Wann und wo haben Sie Ihr Projekt gestartet?
Ziel war von Beginn an, eine digitale Landkarte mit Standorten zu erstellen, an denen die Nazis besonders die Fußballplätze umfunktionierten. Als der aktuelle Drittligist VfL Osnabrück auf dem ehemaligen Gartlage-Sportplatz ein Nachwuchsleistungszentrum gründen wollte, interessierten sich sofort Fans, Verein und natürlich die Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht vor Ort für die Geschichte dieses Areals, auf dem 1942 ein Lager für Zwangsarbeiter entstand. Aus dem Zentrum für den Fußballnachwuchs ist zwar nichts geworden, aber die sporthistorische Diskussion hatte zur Frage geführt, ob und wo Fußballplätze in anderen Städten ein ähnliches Schicksal erlitten. Daraus entwickelte sich unter dem Dach der »Bildungsagenda NS-Unrecht« die Idee für eine solche Website unter dem Titel »Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts«. Gestartet wurde im Januar 2023, Förderung gab es von der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« und vom Bundesfinanzministerium.
Haben Vereine damals gegen diese Zweckentfremdung protestiert?
Widerspruch gab es nur selten. Wenn überhaupt, wie in Essen, dann nicht aus Protest gegen die perfide Nutzung, sondern aus Sorge, dass diese Anlagen für den Sportbetrieb nicht mehr verfügbar sein würden. Besonders erschütternd ist ein Beispiel aus Hannover-Ahlem, wo der Sportplatz zugleich als Außenlager des gleichnamigen Konzentrationslagers diente und wo mit Otto Harder ein früherer Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft als SS-Hauptscharführer das Kommando führte. Ebenfalls KZ-Außenstelle, des Konzentrationslagers Sachsenhausen, war das Stadion des 1. FC Neukölln in Berlin. In Leipzig unterhielt die Deutsche Reichspost gleich zehn Lager für Zwangsarbeiter, davon eines auf dem Postsportplatz. In Düsseldorf hausten Zwangsarbeiter unter anderem genau an jener Stelle, wo die Fortuna heute spielt. Ein besonders prominentes Beispiel ist das Hamburger Volksparkstadion, in dem ab 1943 italienische Soldaten als Arbeitskräfte interniert waren.
In Europa soll es während des Zweiten Weltkriegs etwa 40.000 Arbeitslager der Nazis gegeben haben, in denen insgesamt etwa 26 Millionen zivile Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, vor allem Osteuropäer, unter unmenschlichen Bedingungen oft genug bis zum Tode schuften mussten. Ein Gesamtüberblick war nicht der Anspruch des Projekts?
Nein, das hätte dieses nur für zwei Jahre finanzierte Projekt klar überfordert. Unsere Hoffnung ist, dass mit dieser Website die Nutzer zugleich zu weiterführenden Informationen angeregt werden. So könnte die Übersicht immer weiter vervollständigt werden. Die Website ist auf mindestens zehn Jahre angelegt und wird ab 2025 von den Osnabrücker Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht betreut. Denkbar ist, dass wir ein Folgeprojekt prüfen, mit dem Ziel, das Thema auf die Nachbarländer zu projizieren. Es wäre sehr aufschlussreich zu wissen, wie die deutschen Besatzer Fußball- und Sportplätze zum Beispiel in Frankreich, den Niederlanden, in Polen und Tschechien missbraucht haben.
Bastian Satthoff ist studierter Historiker, arbeitet als freiberuflicher Gedenkstättenpädagoge und war an dem Projekt www.jubel-unrecht.de als einer von insgesamt fünf Mitarbeitern beteiligt
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