»Eine Datensammlung für die Pharmaindustrie«
Interview: Gitta DüperthalWenige Wochen vor dem geplanten Start verzögert sich die »elektronische Patientenakte für alle« auf unbestimmte Zeit. Ab 15. Januar soll die ePa nur noch in zwei »Modellregionen« eingeführt werden, in Franken und in Hamburg. Aus welchem Grund hat das Bundesgesundheitsministerium das Projekt gestoppt?
Bisher ging noch nie eine Anwendung der Telematikinfrastruktur pünktlich in Betrieb, insofern war auch in dem Fall davon auszugehen. Auch andere Projekte des Unternehmens Gematik wurden nie in dem Maß getestet, wie es notwendig gewesen wäre. Bevor die Anwendung auf das ganze Volk losgelassen werden soll, hätte man die ePa mit Tausenden Nutzern testen müssen. Aber auch in diesem Fall versucht man, diese Technik in unausgereiftem Zustand in die Produktion zu bringen.
Was erwartet man sich davon, die ePa als Modellversuch anlaufen zu lassen – warum ausgerechnet in Hamburg und Franken?
Im Gesetz steht der Termin 15. Januar 2025 als Startdatum für die ePa. Mit den beiden Modellregionen wird offenbar eine Schadensbegrenzung versucht. Ich kann nur vermuten, dass man dort bei den Krankenkassen glaubt, bessere Ressourcen zur technischen Unterstützung zu haben, um mit zu erwartenden Unzulänglichkeiten besser umgehen zu können. Bayern gehört grundsätzlich zu den Unterstützern der Telematik, Hamburg ist Hauptsitz der Techniker Krankenkasse, die die ePa befürwortet. Für Hersteller von Arztsoftware soll es erst am 1. Dezember eine Testmöglichkeit geben, um festzustellen, ob die ePA mit ihrer Software funktioniert.
Hat der vorläufige Stopp mit dem Bruch der Ampelkoalition zu tun?
Zunächst war die Einrichtung der ePa in der ganzen Republik sechs Wochen später als in den Modellregionen geplant. Das wäre parallel zur Bundestagswahl gewesen. Die Parteien, die das Projekt befürworten, von den Regierungsparteien bis zur CDU, wollten das vermutlich vermeiden.
Welche Probleme hat die ePa?
Bei der Anwendung sind technische Probleme zu erwarten. Das IT-Großprojekt wird Ärzten die Arbeit nicht erleichtern, sondern zu erheblichem Mehraufwand für die Praxen führen. Für die Behandlung bedeutet sie keinen Mehrwert. Das Problem des Datenschutzes ist nicht gelöst, die ärztliche Schweigepflicht nicht gewährleistet. Zu viele haben Zugang zur gesamten darauf gespeicherten Behandlungsgeschichte: Apotheker, Arzthelferinnen etc.
Und wie teuer ist die Fehlplanung?
Das Projekt gibt es seit 2004, bisher hat es Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe verursacht.
Wird das Projekt nun einfach eingestellt?
Eine Initiative innerhalb der EU, der European Health Data Space, kurz EHDS, wird die nationalen Gesundheitssysteme durch europaweiten Austausch von Gesundheitsdaten miteinander verknüpfen. Weil das auf uns alle zukommt, haben wir unseren Widerspruchsgenerator so programmiert, dass er dann mit einigen Änderungen nutzbar bleibt. Demnächst werden wir auf der Website widerspruch-epa.de ermöglichen, dass Eltern für ihre Kinder widersprechen können.
Der Verein »Patientenrechte und Datenschutz« hat den Widerspruchsgenerator eingerichtet, damit Patienten sich vor der Gefahr schützen können, die mit einer lebenslangen Akte auf zentralen Servern droht. Ist die Verzögerung Grund zur Freude?
Nein. Das Verzögern kennen wir von der E-Gesundheitskarte und dem E-Rezept. Das Kernstück, die Akte, ist nicht am Wohl von Patienten orientiert. Es geht dabei um eine riesige Datensammlung vor allem für Unternehmen der Pharmaindustrie. Bisher haben der ePa etwa 1.000 Leute pro Woche mit dem Widerspruchsgenerator widersprochen: zu wenige! Die Kassen sind gesetzlich verpflichtet, den Versicherten ein 30seitiges Pamphlet etwa vier Wochen vor der Einrichtung zur Verfügung zu stellen; sie haben bisher nur unzureichend informiert. Wir erwarten, dass es danach eine große Welle von Widersprüchen geben wird. Wir müssen das Projekt weiterhin kritisch begleiten.
Jan Kuhlmann ist Vorsitzender des Vereins Patientenrechte und Datenschutz
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