Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
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Aus: Ausgabe vom 30.11.2024, Seite 4 / Inland
»D-Day«-Affäre der FDP

Zwei Köpfe kürzer

FDP: Generalsekretär und Geschäftsführer geben Ämter auf. Zuvor veröffentlichte Strategie für Koalitionsbruch wurde ihnen zum Verhängnis
Von Kristian Stemmler
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»Durchschaubares Bauernopfer«: Bijan Djir-Sarai ist nicht mehr FDP-Generalsekretär (Berlin, 29.11.2024)

Gleich zwei Funktionsträgern der FDP kostete der öffentliche Druck am Freitag das Amt, den sich die ehemalige Regierungspartei am Vortag mit der Veröffentlichung einer Strategie zum Ausstieg aus der Ampelkoalition eingebrockt hatte. Am Vormittag hat Generalsekretär Bijan Djir-Sarai in der Parteizentrale in Berlin seinen Rücktritt erklärt und damit die »politische Verantwortung« für den Vorgang übernommen – offenbar auch, um Parteichef Christian Lindner aus der Schusslinie zu halten. Kurz darauf gab auch Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann, in dessen Verantwortung das Papier entstand, sein Amt auf.

Die auf der FDP-Homepage veröffentlichte Powerpoint-Präsentation skizziert auf acht Seiten mögliche »Ablaufszenarien« zum Ampelausstieg. Der Tag des Koalitionsbruchs wird durchgehend als »D-Day« bezeichnet. Djir-Sarai behauptete am Freitag in seiner weniger als eine Minute dauernden Erklärung erneut, von dem Dokument »keine Kenntnis« gehabt zu haben, »weder von der Erstellung noch von der inhaltlichen Ausrichtung«. Er habe zuvor »unwissentlich falsch über ein internes Dokument unterrichtet«, sagte Djir-Sarai mit Blick auf seine noch vor gut einer Woche vorgebrachte Behauptung, ein »D-Day-Papier« existiere nicht bzw. in internen Überlegungen sei von »D-Day« keine Rede gewesen.

In einer Erklärung Reymanns, die zusammen mit dem Dokument auf der FDP-Homepage hochgeladen wurde, bezeichnet er dieses als ein »Arbeitspapier«, das in seiner Verantwortung Ende Oktober entstanden und »kein Gegenstand der politischen Beratung von gewählten Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern« gewesen sei. Es habe sich vielmehr um eine »rein interne Vorbereitung für das Szenario eines Ausscheidens der FDP aus der Ampelkoalition« gehandelt. Tatsächlich bestätigt die Veröffentlichung Medienberichte von Mitte November, wonach die FDP den Ampelausstieg wochenlang geplant haben soll und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dem am 6. November mit der Entlassung Lindners lediglich zuvorgekommen sei.

Zum Stichwort »Timing« heißt es in den Präsentationsfolien etwa, dass ein »avisierter Ausstieg zur Mitte der KW 45« Risiken wegen der US-Präsidentenwahlen am 5. November berge. Auch der Ablauf wird durchbuchstabiert, von der ersten Phase des »Impulses« bis zur Phase vier, dem »Beginn der offenen Feldschlacht«. Es sei »entscheidend, die ersten Sätze und Bilder zu einem Aus der Koalition zu setzen«. Als »Kernnarrativ« solle verbreitet werden, dass der Wähler über die Alternative »Planwirtschaft oder soziale Marktwirtschaft«entscheiden müsse. Die FDP müsse klarmachen: »Wir machen den Weg frei für vorgezogene Neuwahlen.«

Djir-Sarai blieb im Grunde nichts anderes übrig, als die kurzfristig angekündigte Erklärung für seinen Rücktritt zu nutzen, nachdem interne Rufe danach an Medien durchgestochen worden waren. Öffentlich hatte auch Franziska Brandmann, Vorsitzende des FDP-Nachwuchses »Junge Liberale«, Djir-Sarai auf X zum Rücktritt aufgefordert. »Das Papier, das gestern öffentlich wurde, ist einer liberalen Partei unwürdig«, schrieb sie. Nicht nur die Öffentlichkeit müsse den Eindruck gewinnen, »über Wochen getäuscht worden zu sein – sondern auch die eigene Partei«. Von dieser erwarte die frühere Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, eine Aufarbeitung, »um verlorenes Vertrauen wiederherzustellen«, und zollte den zurückgetretenen FDP-Politikern am Freitag Respekt für deren Entscheidung.

Aus den Reihen der ehemaligen Koalitionspartner bezeichnete SPD-Generalsekretär Matthias Miersch den Rücktritt des FDP-Generalsekretärs als »durchschaubares Bauernopfer«. Der Schritt sei erfolgt, »um die Verantwortung von FDP-Chef Christian Lindner abzulenken«, erklärte Miersch gegenüber dpa. Zunächst sei die Schuld »auf einfache Mitarbeiter« geschoben worden, »dann auf den Bundesgeschäftsführer« und nun auf Djir-Sarai. Die entscheidende Frage bleibe, welche Rolle Lindner gespielt habe. In seinem Schritt zu dessen Entlassung aus dem Amt des Finanzministers fühle sich Kanzler Scholz bestätigt, wie Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Freitag in Berlin gegenüber Journalisten erklärte. Ob Scholz vor der Bekanntgabe der Entlassung über einen detaillierten Strategieplan der FDP informiert gewesen war, konnte der Sprecher nicht sagen.

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