Problem Rudelbildung
Von Oliver RastZum Protest gehören Schilder. Bemalt, beschriftet. Wie diese: »Schafe schützen Landwirtschaft, wer schützt uns vor den Wölfen?« Oder: »Unsere Tiere sind keine Wolfsbeute!« Die Geschichte dahinter ist sehr alt, es ist die vom bösen Wolf. Von Meister Isegrim, der massakriert. Und manchmal sieht es auch so aus. Durchbissene Kehlen, aufgeschlitzte Leiber, heraushängende Gedärme. Hirten von Schafen, Hirten von Ziegen, viele Bauern überhaupt, fordern immer lauter eine Abschussquote für »auffällige« Leittiere. »Problemwölfe« vor die Flinte – gleich rudelweise?
Der Schilderprotest ging am Donnerstag in der rheinland-pfälzischen Gemeinde Dernau über die Bühne. Zur Kundgebung aufgerufen hatten der Rheinische Landwirtschaftsverband (RLV) sowie der Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau. Parallel zur turnusgemäßen Umweltministerkonferenz (UMK) im Herbst, diesmal im unweit gelegenen Bad Neuenahr-Ahrweiler. »Rund 120 Landwirte und Tierhalter kamen zusammen, um Forderungen zu stellen«, sagte Franz Weyermann am Freitag im jW-Gespräch. Welche? »Für ein tatsächlich praktikables Schnellabschussverfahren und die Übernahme von EU-Ausnahmen bei der Wolfsentnahme in deutsches Recht«, so der Weidetier- und Wolfsexperte beim RLV weiter. Und nicht zuletzt müsse der Schutzstatus für den Wolf in der Berner Konvention von »streng geschützt« auf »geschützt« gesenkt werden. Weil: Ein »guter Erhaltungszustand« sei längst erreicht, die Art nicht gefährdet, nicht vom Aussterben bedroht. Neue Zahlen belegten dies.
Bereits am Dienstag präsentierten das Bundesamt für Naturschutz (BfN) sowie die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) das »Wolfsmonitoring« für das Berichtsjahr 2023/24. Amtlich bestätigt sind demnach bundesweit 209 Wolfsrudel mit nachgewiesenen 1.601 Tieren im Vergleich zu 1.339 im Vorjahr. Die stärkste Rudelbildung gibt es in Brandenburg (58), gefolgt von Niedersachsen (48) und Sachsen (37). »Geschönte Zahlen«, meint der Förderverein der Deutschen Schafhaltung laut Fachportal Agrar heute vom Donnerstag. So seien die Welpen aus diesem Jahr nicht berücksichtigt worden. Mehr als 1.000 sollen es sein. Die Situation drohe völlig außer Kontrolle zu geraten, warnen die Schafhalter. Denn dem Förderverein zufolge wurden im aktuellen Berichtszeitraum 5.727 Nutztiere vermisst, verletzt oder getötet. Eine um knapp ein Drittel höhere Rate als beim Monitoring zuvor.
Ein Manipulationsvorwurf, oder? Das weist das BfN am Freitag auf jW-Nachfrage zurück. Die Daten basierten auf Angaben der Bundesländer, und ein Monitoringjahr laufe vom 1. Mai bis 30. April des Folgejahres, erklärte eine Sprecherin. Alle nachfolgend erhobenen Daten würden dem laufenden Berichtsjahr 2024/25 »zugerechnet und im kommenden Herbst veröffentlicht«. Ferner würden Länder die aktuelle Entwicklung des Wolfsbestands über die Webseite der DBBW aktualisieren. »In Echtzeit.«
Vom Zahlenwerk abgesehen, Bernd Merscher ist enttäuscht. Weidetierhalter würden seitens der Behörden in der »Wolfsfrage« oft nicht gehört, sogar benachteiligt, sagte der Vorsitzende des Bundesverbands deutscher Ziegenzüchter (BDZ) am Freitag gegenüber jW. Benachteiligt? »Ja, im Gegensatz zu Umweltverbänden.« Die hätten eine bessere Lobby, in der Verwaltung, in Ministerien.
Deshalb habe der BDZ mit weiteren Verbänden die Mitarbeit beim Bundeszentrum Weidetiere und Wolf (BZWW) – einer Unterabteilung des Bundeslandwirtschaftsministeriums – eingestellt. Das BZWW soll Konflikte zwischen Nutztierhaltern und Wölfen minimieren. »Das passiert aber nicht«, so Merscher. Was braucht’s? Eine fixe Bestandsgrenze, eine Entnahme, sprich Tötung, übergriffiger Wölfe. Sofort, unbürokratisch.
Tut sich da vielleicht was? Die rheinland-pfälzische Umweltministerin und UMK-Vorsitzende Katrin Eder (Bündnis 90/Die Grünen) kündigte während der Konferenz einen Abschuss an. Treffen soll es den »auffälligen« Leitwolf eines Rudels im Westerwald. Merscher bleibt skeptisch – Protestschilder sind in Griffweite, die Flinte auch.
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