Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
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Aus: Ausgabe vom 30.11.2024, Seite 15 / Geschichte
Wendejahre

Erfolgreich geplündert

Todesstoß per Finanzamt: Vor 30 Jahren wehrte sich die PDS-Führung mit einem Hungerstreik gegen einen Steuerbescheid
Von Leo Schwarz
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Die Teilnehmer des Hungerstreiks bei einer Pressekonferenz in der Berliner Volksbühne (2.12.1994)

Die Wahlparty war wild: Als am späten Abend des 16. Oktober 1994 klar war, dass die PDS mit vier gewonnenen Direktmandaten in Berlin auch dem nächsten Bundestag mit einer – größer gewordenen – Abgeordnetengruppe angehören würde, gab es in der völlig überfüllten Kongresshalle am Alexanderplatz kein Halten mehr. Vier Jahre eines enormen politischen und medialen Druckes hatten nicht zur bundespolitischen Ausschaltung der Partei geführt, und nun fiel die Anspannung von allen Anwesenden ab. Dass viele Funktionäre, die damals in der Kongresshalle feierten, im politischen System der Bundesrepublik »ankommen« und »Verantwortung übernehmen« wollten, während manche Mitglieder, die längst vor einer »Sozialdemokratisierung« der Partei warnten, darauf hofften, dass mit der PDS eine sozialistische Oppositionspolitik zu machen sein würde, spielte in diesem Moment keine Rolle.

Zumal der Jubel umgehend in Katastrophenstimmung umschlug: Am 4. November 1994 stellte das Berliner Finanzamt für Körperschaften der PDS einen Steuerbescheid über 67,4 Millionen D-Mark zu – unverzüglich zu zahlen für angebliche Einnahmen aus gewerblicher Aktivität im Jahr 1990 in Höhe von 192,6 Millionen D-Mark. Der Aufhänger für die Berechnung dieser vollkommen fiktiven Steuerschuld waren Transaktionen, die die Partei im Zuge der halb erzwungenen und halb freiwilligen Abgabe des weit überwiegenden Teils des Vermögens der SED vorgenommen hatte. Einstige Parteibetriebe hatten damals noch einmal Geld von der Partei erhalten, darunter ehemalige Bezirkszeitungen, Erholungsheime und Parteischulen.

SED-Nachfolger ausschalten

Diese Betriebe und Liegenschaften waren 1994 längst privatisiert oder lagen weiter bei der Treuhand. Den naheliegenden Vorschlag, diese Steuerschuld aus dem der Partei abgenommenen SED-Vermögen zu begleichen, lehnte die sogenannte Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR umgehend ab. Ihr Vorsitzender, der CSU-Mann Hans-Jürgen Papier, später aufgestiegen zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, gab sich besorgt, dass diese Mittel so »der gemeinnützigen Zweckbestimmung« entzogen werden könnten. Damit hatte das Finanzamt die Möglichkeit, die im Bundestag, in Landtagen und vielen Kommunen vertretene Partei durch einen einfachen Vollstreckungsbeschluss in den Bankrott zu treiben.

Dieser gut vorbereitete Angriff auf die Partei hatte eine Vorgeschichte. In den Unionsparteien und im Staatsapparat gab es in den ersten Jahren nach 1990 starke Bestrebungen, die »SED-Nachfolgepartei« endgültig auszuschalten – und zwar ganz unabhängig von der inneren Entwicklung der Partei. Dahinter steckte einerseits manifester Hass auf die vielfach weiterhin unverdrossen als »kommunistisch« etikettierte PDS, andererseits aber auch nüchternes politisches Kalkül: Mit der PDS etablierte sich eine in jeder Hinsicht unerwünschte ostdeutsche Regionalpartei, die wegen der sozialen und ökonomischen Katastrophe in den neuen Ländern über eine echte Massenbasis verfügte und so dauerhaft zu seinem bundespolitischen Faktor zu werden drohte.

Anschauungsmaterial dafür hatte sich 1993 und 1994 reichlich angesammelt. Besonders das Ergebnis der Brandenburger Kommunalwahl am 5. Dezember 1993 signalisierte, dass sich die PDS im Osten stabilisierte: Mit einem Stimmenanteil von 21,2 Prozent kam sie hinter der SPD und vor der CDU im Landesdurchschnitt auf den zweiten Platz. In den Kommunalparlamenten von Potsdam und Frankfurt (Oder) war die Partei nun stärkste Kraft. Damit sei zum ersten Mal der jahrelange Abwärtstrend umgekehrt und ein Wahlergebnis erreicht worden, »das noch deutlich über dem PDS-Resultat zu den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 liegt«, und das zeige, »dass das stereotype Gerede vom Auslaufmodell PDS nicht der Realität entspricht«, jubelte damals der Parteivorstand. Ein paar Tage später ergab eine Forsa-Umfrage, dass 62 Prozent der ostdeutschen Wähler die PDS für »wählbar« hielten, und zum Jahresende sah eine Allensbach-Umfrage die Partei zum ersten Mal bundesweit über fünf Prozent.

Das fiel nicht zufällig mit dem Höhe­punkt und Ende des monatelangen Kampfes der Kalikumpel von Bischofferode zusammen. Der letztlich erfolglose Versuch, »gegen Bundesregierung, Treuhand, BASF, die Leitung der IG Bergbau und Energie, den eigenen Kalivorstand und die Landesregierung« – so die Erklärung des Betriebsrates des trotz nachgewiesener Profitabilität zwangsweise geschlossenen Kali­bergwerkes vom 31. Dezember 1993 – den Erhalt des Standortes durchzusetzen, hatte vielen Ostdeutschen erstmals nachdrücklich vor Augen geführt, in welchem Umfang sie seit 1990 kollektiv über den Löffel balbiert worden waren. Als Interessenvertretung empfahl sich nachdrücklich die PDS, die sich beim Kampf um das Werk in Bischofferode ganz im Gegensatz zu anderen Parteien stark und sichtbar engagiert hatte.

Rote Socken

Die anderen Parteien und viele Medien reagierten auf die lange als ziemlich unwahrscheinlich gehandelte Aussicht, dass die PDS auch nach der Bundestagswahl 1994 weiter im Parlament vertreten sein könnte, mit einer Verstärkung der seit 1990 nahezu ununterbrochen geführten Kampagne gegen die Partei. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) sprach ganz offen über ein mögliches Verbot der PDS und verlangte beim Bundesinnenminister deren bundesweite Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Einst Bürgerbewegte forderten, jegliche Zusammenarbeit mit der PDS auszuschließen – das sei ein Gebot der »politischen Hygiene« (Konrad Weiß).

Die wütenden Angriffe, die auch von einer neuen Welle von »Stasi«-Vorwürfen gegen Funktionäre der Partei begleitet waren, verfingen allerdings nicht recht: Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 12. Juni 1994 gewann die PDS erneut Stimmen hinzu. Danach kam es in Magdeburg zur Bildung einer von der SPD geführten Minderheitsregierung, die von der PDS toleriert wurde. CDU-Generalsekretär Peter Hintze trat anschließend die bis heute in Erinnerung gebliebene »Rote Socken«-Kampagne los, die von der PDS klug pariert wurde: Mitglieder der Partei strickten rote Söckchen, die im Bundestagswahlkampf weite Verbreitung fanden.

Häme und Solidarität

Dem Steuerbescheid vom November war allerdings mit solchen Mitteln nicht beizukommen. Er war tatsächlich eine tödliche Bedrohung, denn natürlich verfügte die Partei nicht über die geforderten Millionensummen. Im Grunde hatte sie nach dem Bundestagswahlkampf kaum noch Geld. Am 30. November 1994 traten mehrere führende Parteimitglieder – darunter der Parteivorsitzende Lothar Bisky, der Vorsitzende der Bundestagsgruppe Gregor Gysi, der Schatzmeister Dietmar Bartsch, der Wahlkampfleiter André Brie und die damals in der Partei sehr einflussreichen Brandenburger Landtagsabgeordneten Heinz Vietze und Michael Schumann – in einen Hungerstreik. Nachdem die Hungerstreikenden polizeilich aus Räumen der »Unabhängigen Kommission«, der Treuhandanstalt und des Berliner Abgeordnetenhauses verwiesen worden waren, bot ihnen Intendant Frank Castorf vom 2. Dezember an in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Unterschlupf.

Zunächst allerdings sah es so aus, als könne der Staat die Aktion durchziehen. Der Berliner Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) ließ zum 1. Dezember die Wahlkampfkostenerstattung von 3,18 Millionen D-Mark pfänden. Das Finanzamt informierte die Partei, dass inzwischen ein Säumniszuschlag von 674.000 D-Mark aufgelaufen sei. Die »Unabhängige Kommission« bot an, einen Betrag in Höhe der gepfändeten Wahlkampfkostenerstattung an die Partei zu zahlen – verlangte aber dafür die Eintragung einer Sicherungsgrundschuld. Das zielte offensichtlich auf das Karl-Liebknecht-Haus. Politik und Medien reagierten auf den Hungerstreik fast durchweg mit Häme. Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) erklärte, ihm sei das egal. Die Grünen-Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer nannte den Hungerstreik »lachhaft und unangemessen«. Der Chefredakteur der damals ziemlich orientierungslosen jungen Welt, Oliver Tolmein, sprach unter der Überschrift »Hungerleider für Deutschland« von einem »armseligen Schauspiel« – eine Kritik von »links«, die haarscharf am Inhalt dieser Auseinandersetzung vorbeiging.

Mehrere große Demonstrationen und eine sprunghafte Zunahme der Spenden an die Partei zeigten allerdings, dass es jenseits der veröffentlichten Meinung durchaus einen Solidarisierungseffekt gab. Ob das ein Faktor war, der das Berliner Verwaltungsgericht beeinflusste, sei dahingestellt: Es erließ jedenfalls am 7. Dezember auf Antrag der PDS eine einstweilige Anordnung, die besagte, dass die Steuerschuld vorläufig aus Mitteln der »Unabhängigen Kommission« und der Treuhand zu begleichen war. Der Hungerstreik wurde beendet.

1995 kam es zu einem Vergleich: Die »unabhängigen« Organe des Staates verzichteten auf alle Forderungen gegenüber der PDS, diese dafür noch einmal verbindlich auf praktisch das gesamte ehemalige Vermögen der SED – nur einige Immobilien, die einst der KPD gehört hatten, wurden ihr als »rechtmäßiges Eigentum« überlassen. Seit Ende 1989 hatten die »Skandale« um die Parteifinanzen wesentlich die Entwicklung der Partei beeinflusst. Das war nun, sieht man einmal von gelegentlichen Versuchen ab, die Debatte über angeblich verschwundene »SED-Milliarden« wieder anzufachen, vorbei – um den Preis der vollständigen Plünderung des einstigen SED-Vermögens durch den deutschen Staat.

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