Assad gestürzt
Von Knut MellenthinEs ging rasend schnell: Erst am frühen Sonntag morgen hatte die Dschihadistenkoalition unter Führung von Haiat Tahrir Al-Sham die Stadt Homs eingenommen, am Nachmittag schon feierte Anführer Abu Mohammed Al-Dscholani in der symbolträchtigen Umayyaden-Moschee von Damaskus den Sturz der syrischen Regierung. Von Präsident Baschar Al-Assad fehlt seither jede Spur. Möglich, dass er mit unbekanntem Ziel geflohen oder schon tot ist. Das Geheimnis um seine Residenz hingegen ist gelüftet, noch am selben Tag wurde sie gestürmt und geplündert, entsprechende Bilder und Videos werden zuhauf im Netz verbreitet. Auch die iranische und italienische Botschaft sind Berichten zufolge gestürmt worden.
Dass es so schnell ging, liegt auch am Verhalten der Streitkräfte, die zuletzt fast widerstandslos kapitulierten. Am frühen Sonntag morgen informierte die syrische Armeeführung, dass die Herrschaft von Präsident Baschar Al-Assad beendet sei. Was aus den Zigtausenden Angehörigen des Staatsapparats wird, ist ungewiss. Der syrische Ministerpräsident Mohammed Al-Dschalali, der im Land geblieben war, plädierte für freie Wahlen in Syrien. Das sagte er in einem Interview mit dem Sender Al-Arabija. Er sei in Kontakt mit Al-Dscholani, um zu besprechen, wie eine Übergangsperiode organisiert werden könne. Dieser verkündete in einer schriftlichen Erklärung, dass alle staatlichen Institutionen bis zu einer Übergabe vom Ministerpräsidenten beaufsichtigt würden.
Für Syriens wichtigste Verbündete, Russland und den Iran, wird vermutlich in absehbarer Zeit kein Platz mehr sein. Noch hat Russland an der syrischen Mittelmeerküste in Tartus seinen einzigen Militärstützpunkt außerhalb der früheren Sowjetunion. Wie das russische Außenministerium mitteilte, wurden die Stützpunkte in dem Land in Alarmbereitschaft gesetzt. Russland und Iran, die Al-Assad noch fast bis zuletzt ihre Unterstützung versprachen, hatten noch am Sonnabend bei einem gemeinsamen Außenministertreffen mit der Türkei in Katars Hauptstadt Doha einen »politischen Dialog« zwischen der Regierung in Damaskus und den »legitimen Oppositionsgruppen« gefordert. Wen sie damit meinen, blieb offen. Die HTS, soviel wurde deutlich, rechnen sie jedenfalls nicht dazu.
Auch für die Kurden, beziehungsweise die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien wird es eng. Nach Aussagen eines Vertreters der türkischen Sicherheitskräfte haben von der Türkei unterstützte syrische Truppen die Kontrolle über einen Großteil der Gegend um die nordsyrische Stadt Manbidsch errungen.
Die politische und militärische Führung Israels, die auf den ersten Blick vom Umsturz im Nachbarland zu profitieren scheint, hielt sich am Wochenende eine direkte militärische Einmischung offen. An verschiedenen Punkten in Grenznähe wurden Truppen stationiert oder verstärkt. Israelische Einheiten, angeblich mit Panzern, marschierten am frühen Sonntag in die 1974 mit Syrien vereinbarte Pufferzone auf den Golanhöhen ein. Generalstabschef Herzi Halevi warnte am Sonnabend die Rebellen, »sich nicht in die falsche Richtung zu bewegen«. Sonst werde es »eine sehr starke offensive und defensive Antwort« geben. Verschiedene Agenturen meldeten am Sonntag, dass israelische Kampfflugzeuge einen Luftwaffenstützpunkt in Südsyrien bombardierten.
Viele westliche Politiker äußerten sich noch am Sonntag euphorisch über die Ereignisse in Syrien. Frankreichs Präsident Macron sagte, »der barbarische Staat« sei endlich gefallen.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (9. Dezember 2024 um 14:19 Uhr)Sieht irgendwie nach Verrat in Armee und Regierung aus. Der syrische Ministerpräsident Mohammed Al-Dschalali fühlt sich offensichtlich sicher und bleibt im Land. Im Jargon der westlichen Medien macht er sich zum Kronzeugen und plädiert für »freie Wahlen in Syrien«, so als wären die bisherigen unfrei gewesen.
- Antworten
-
Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (9. Dezember 2024 um 10:59 Uhr)Bashar al-Assad ist Geschichte. Der schüchterne Augenarzt, der sich zum autokratischen Langzeitherrscher wandelte, ist ins Exil geflohen. Zurück bleibt ein Syrien mit ungewisser Zukunft und ein Naher Osten, in dem nichts mehr so scheint wie zuvor. Über Jahre hinweg galt Assad als Garant der Stabilität. Den Volksaufstand von 2011 überstand er ebenso wie den darauffolgenden Bürgerkrieg, den er mit Unterstützung aus Iran und Russland für sich entschied. Weder westliche Sanktionen noch die Transformation seines Regimes konnten ihn zu Fall bringen. Zuletzt begannen sogar einstige Widersacher am Golf, sich mit dem vermeintlich unantastbaren Herrscher in Damaskus zu arrangieren. Umso überraschender ist nun der jähe Sturz: Eine überschaubare Rebellentruppe, unterstützt von der Türkei, durchbrach Assads Machtgefüge, und sein Reich zerfiel wie eine Sandburg im Regen. Doch was wird aus Syrien? Die Antwort bleibt unklar. Der neue starke Mann, Rebellenführer Mohammed al-Julani, ist nicht nur ein strikter Islamist, sondern regierte bereits in Idlib mit harter Hand – ebenfalls wie ein Autokrat. Und al-Julani ist nicht der Einzige, der Machtansprüche stellt. In dem zerrütteten Land wetteifern zahlreiche Akteure um die Vorherrschaft: die Kurden, türkische Vasallen der Syrischen Nationalen Armee und Überreste des Islamischen Staates. Bereits jetzt drohen neue Konflikte zwischen diesen Gruppen. Sollten externe Mächte ihre Interessen mit militärischer Unterstützung verfolgen, könnte Syrien bald erneut in die Dunkelheit eines Bürgerkriegs zurückfallen.
- Antworten
-
Leserbrief von Wolfgang Schmetterer aus Graz (9. Dezember 2024 um 09:29 Uhr)Gut möglich, dass sich die euphorische Stimmung bald in ihr Gegenteil verkehrt, wenn es vielleicht doch nicht so läuft, wie westliche Politiker es sich vorstellen. Bei diesen »Rebellen« ist alles möglich. Die beste Ansage kam meiner Meinung nach von Olaf Scholz: »Kein Land ist der Hinterhof eines anderen. Die illegitime Einmischung Dritter muss enden und Syrien in Frieden mit seinen Nachbarn leben.« Wenn der Mann nicht gerade vergesslich ist, ist er hochgradig schizophren.
- Antworten
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (9. Dezember 2024 um 07:56 Uhr)Wie es aussieht, hat die Situation in der Ukraine, welche die volle Aufmerksamkeit Russlands beansprucht, dem Treiben der Terrormilizen in Syrien Vorschub geleistet. Dass der Westen jubelt, zeigt wieder einmal seine moralische Verkommenheit. Noch vor Kurzem galten die Milizen als Terroristen, aber ganz nach dem berühmt-berüchtigten Statement eines ebenso berüchtigten US-Politgangsters, wonach sie »Schweinehunde, aber unsere Schweinehunde« seien, gilt alles als richtig, was der Geopolitik des Westens nützt. Assad und seine Familien haben in Russland politisches Asyl erhalten. Insofern ist der Artikel nicht mehr aktuell.
- Antworten
Ähnliche:
- 23.04.2020
Treffen vor dem Ramadan
- 12.10.2018
Weltunordnungskrieg
- 30.09.2015
Gegen Einmischung