»Die Mehrheit steht hinter der Revolution«
Von Nick BraunsDie derzeitige Krise auf Kuba gilt als die schlimmste seit der Sonderperiode nach dem Wegbrechen der sozialistischen Partnerländer Anfang der 90er Jahre. Können Sie kurz die wirtschaftliche Lage Kubas beschreiben?
Die Situation, in der sich die kubanische Bevölkerung heute befindet, ist in der Tat sehr schwierig, und das ist hauptsächlich die Folge der Blockadepolitik der USA. Damit zusammenhängend sind wir mit Problemen bei der Versorgung mit Strom, Nahrungsmitteln und Medikamenten, beim konstanten Zugang zu Wasser und beim Betrieb der öffentlichen Verkehrsmittel konfrontiert.
Und welche Maßnahmen ergreift die Regierung angesichts dieser Vielfachkrise?
Es gibt einen Regierungsplan, der vor einem Jahr im Parlament vorgestellt wurde, in dem es vor allem um Korrekturen in der Makroökonomie geht. Um die Teuerung zu stoppen, wurden Preisobergrenzen für Produkte des Grundbedarfs festgelegt. Der Plan sieht eine weitere Öffnung des kubanischen Marktes für ausländische Investitionen sowie zur Beteiligung ausländischen Kapitals in der Wirtschaft des Landes vor, die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Ausland sollen generell ausgeweitet werden. Es geht aber auch darum, ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem privaten und dem staatlichen Wirtschaftssektor und beide miteinander zu verzahnen.
Es kam in den letzten Monaten immer wieder zu größeren Stromausfällen, am 18. Oktober sogar landesweit für mehrere Tage. Was ist der Grund?
Auch hierbei haben wir es mit Auswirkungen der US-Blockade zu tun. Wir haben Schwierigkeiten damit, genügend Energie zu erzeugen. Denn wir haben nicht genügend Treibstoff, um die Kraftwerke in Betrieb zu halten und die Motoren anzutreiben, die für die Weiterleitung des Stroms notwendig sind. Der Großteil der Energieerzeugung in Kuba erfolgt durch Wärmekraftwerke, doch die sind technisch sehr veraltet, und es fehlt infolge der Blockade auch an Ersatzteilen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass nur vier Prozent unserer Energieversorgung aus erneuerbaren Energiequellen erfolgt. Eine der wichtigsten Maßnahmen besteht jetzt darin, in schnellem Tempo den Energiemix zu verändern, vor allem durch die Ausweitung der Energiegewinnung durch Photovoltaik. Innerhalb von zwei Jahren soll hier die Kapazität zur Erzeugung von 2.000 Megawatt geschaffen werden. In Zusammenarbeit mit China geht das sehr schnell voran. In den nächsten Monaten werden bereits Kapazitäten zur Erzeugung von 400 Megawatt erreicht sein.
In westlichen Medien wurde über Proteste aus der Bevölkerung angesichts der Stromausfälle berichtet.
Eine der schwerwiegendsten Verschärfungen der Blockade seit der ersten Präsidentschaft von Donald Trump betrifft die Beeinträchtigung der Öllieferungen nach Kuba. Denn das wirkt sich direkt auf die Energieerzeugung und dadurch auf das alltägliche Leben unserer Bürger aus. Es ist ja das erklärte Ziel hinter der Blockadepolitik, Mangel zu erzeugen und Unzufriedenheit zu schüren, damit sich eine Opposition in der Bevölkerung gegen die Regierung und unsere Revolution bildet. Wir stehen vor dem Dilemma, dass wir eigentlich die Produktion herunterfahren müssten, um die Stromversorgung für die Bevölkerung nicht zu sehr zu beeinträchtigen. Diese Situation führt natürlich zu Unzufriedenheit.
Wie reagieren Staat und Regierung auf diese Unzufriedenheit?
Die Regierung, die Abgeordneten und die Vertreter der Kommunistischen Partei suchen das Gespräch mit den Menschen. Jedes Jahr müssen die Abgeordneten der einzelnen Bezirke vor ihren Wählern Rechenschaft ablegen. Diese Versammlungen in den Gemeinden fanden zwischen September und November statt, also in der schwierigsten Phase dieses Jahres. Dennoch war die Beteiligung größer als sonst. Die Menschen gehen zu diesen Versammlungen, sie äußern ihre Meinung, sie kritisieren manche Prozesse oder suchen nach Lösungen für ihre Probleme. Und alle werden angehört, denn ihre Meinung ist uns sehr wichtig. Ich möchte betonen, dass die große Mehrheit versteht, warum wir uns in dieser Lage befinden, weiterhin hinter der Regierung steht und den revolutionären Prozess unterstützt. Allerdings hat auch die Auswanderung aus Kuba in den letzten zwei, drei Jahren stark zugenommen. Natürlich könnten wir einfach sagen, die Menschen fliehen wegen all der Schwierigkeiten aus Kuba. Doch unabhängig davon, ob wir Fehler begangen haben oder nicht, bleibt die Hauptursache für diese Probleme die US-Blockade.
Wir erleben gerade einen fortschreitenden Hegemonieverlust des US-geführten Westens bei gleichzeitiger Herausbildung einer multipolaren Weltordnung. Kann diese Entwicklung dazu beitragen, Kubas Lage zu verbessern?
Es ist sehr wichtig, nicht nur für Kuba, sondern für die ganze Welt, dass eine multipolare Alternative entsteht, die diese Vorherrschaft der USA bricht. Genau das bereitet den USA Sorgen, denn sie wollen natürlich ihre Hegemonie behalten, um der Welt ihren Stempel aufzudrücken. Deswegen hat Trump ja gerade mit Maßnahmen gedroht für den Fall, dass die BRICS-Staaten den Dollar bei ihren Geschäften untereinander abschaffen.
Im Oktober ist Kuba als assoziiertes Mitglied in das Staatenbündnis BRICS aufgenommen worden. Was versprechen Sie sich davon?
Dieser alternative Raum, der hier unter Mitwirkung einer Gruppe des globalen Südens geschaffen wird, bietet für Kuba eine Alternative. Deswegen hat unser Land auch seinen Willen erklärt, daran mitzuwirken, nicht nur im Interesse der Wirtschaft, sondern auch politisch. Es wäre allerdings naiv zu glauben, dass durch eine BRICS-Mitgliedschaft alle Probleme Kubas gelöst werden könnten, vieles könnte allerdings erleichtert werden. Gleichzeitig wollen wir dort unseren Beitrag leisten, wo Kuba auch für die anderen Staaten von Nutzen sein könnte.
Gab es, als sich die Energiekrise zuspitzte, zusätzliche Hilfe von den BRICS-Mitgliedern Russland und China für Kuba?
Russland hat vor allem Öl geliefert. Und China hilft uns wie gesagt beim Aufbau der Infrastruktur für die Nutzung von Solarenergie.
Donald Trump, der bereits in seiner ersten Amtszeit als US-Präsident die Blockade verschärft hatte, wurde wiedergewählt. Was hat Kuba nun zu erwarten?
Man muss kein Zukunftsdeuter sein, um sich angesichts der bislang bekannten Zusammensetzung der nächsten US-Regierung auszumalen, dass sich die Lage weiter verschärften wird. So ist der designierte Außenminister Marco Rubio ein Politiker, der die gegen Kuba gerichtete Politik als Teil seiner persönlichen Agenda betreibt. Wir wissen nicht, welche Maßnahmen die US-Regierung noch einleiten kann, um Kuba weiter zu drangsalieren. Doch leider haben die US-Regierungen bewiesen, dass sie über eine große Innovationskraft verfügen, wenn es darum geht, die Lage des kubanischen Volkes weiter zu verschlechtern. Unser Volk hat jedoch bereits sehr schwierige Zeiten überstanden und es ist darauf vorbereitet, noch schwerere Zeiten durchzustehen.
Aber Ihre Regierung sucht weiterhin den Dialog mit den USA?
Unser Präsident Miguel Díaz-Canel hat deutlich gemacht, dass sich unsere Haltung gegenüber den USA nicht ändern wird, egal, wer dort Präsident ist. Wir werden weiter unsere souveräne Politik betreiben und unser Recht auf Selbstbestimmung ausüben. Wir werden weiter den Sozialismus aufbauen. Doch wir sind auch bereit, mit den USA ins Gespräch zu kommen – auf einer Ebene der Gleichberechtigung und unter Respektierung unserer Souveränität und Unabhängigkeit. Dass dies möglich ist, haben wir während der Präsidentschaft von Barack Obama bewiesen.
In der UN-Vollversammlung hat die Bundesrepublik zuletzt Ende Oktober wieder – ebenso wie 186 weitere Staaten gegen die Stimmen der USA und Israels bei einer Enthaltung – für die Aufhebung der US-Blockade gestimmt. Was erwartet die kubanische Regierung von der deutschen?
Dass sie ihre eigenen Gesetze befolgt und ihnen Geltung verschafft. Deutschland hat zusammen mit den anderen Staaten der Europäischen Union 1996, als die USA das Helms-Burton Gesetz verabschiedeten, eine Resolution gegen die exterritoriale Wirkung der Blockade erlassen. Dennoch unternehmen die EU-Regierungen nichts, ihre Bürger und betroffene Unternehmen zu schützen.
Könnte es von seiten der EU-Staaten mehr Widerstand gegen diesen Angriff auf die eigene Souveränität und Handelsfreiheit geben, wenn Trump seinerseits auf einen stärkeren Anti-EU-Kurs geht?
Diese Erwartung habe ich nicht. Denn leider hat das Leben bewiesen, dass ein großer Teil der europäischen Länder immer den Diktaten der US-Politik gefolgt ist.
Im November fand in Paris das 19. europäische Treffen der Solidarität mit Kuba statt. Die Beteiligung war mit über 300 Delegierten aus 28 Ländern größer als sonst. Was erwartet Kuba von der Solidaritätsbewegung in Europa?
Die Sache Kubas strahlt aus. Wir haben die Unterstützung von Millionen Menschen auf der ganzen Welt, auch hier in Deutschland. Darunter sind auch Menschen und Parteien, die eine andere Ideologie haben und die nicht mit allem einverstanden sind, was in Kuba geschieht. Sie erkennen aber, dass die Blockade gegen Kuba ungerecht und moralisch inakzeptabel ist. Auch wenn Kuba ein kleines Land ist, das große Schwierigkeiten zu bewältigen hat, wird von anderen Völkern gesehen, was die kubanische Regierung und der Staat für ihre Bevölkerung erreicht haben. Wir sind der Überzeugung, dass sich im Falle einer Verschärfung der gegen uns gerichteten Maßnahmen auch die Solidarität mit uns weltweit verstärken und ausweiten wird. Diese Solidarität besteht nicht nur in materieller Hilfe, sondern auch in politischer und moralischer Unterstützung für das kubanische Volk. Und dafür sind wir von ganzem Herzen dankbar.
Homero Acosta Álvarez (geb. 1964 in Nueva Paz/Provinz Mayabeque) wurde im Oktober 2019 zum Sekretär der Nationalversammlung der Volksmacht und des Staatsrats der Republik Kuba gewählt. Während die Nationalversammlung laut Verfassung das oberste Organ der Staatsgewalt ist, das gesamte Volk repräsentiert und dessen souveränen Willen ausdrückt, übt der 21köpfige Staatsrat als Organ dieses Parlaments die Exekutivgewalt aus. Acosta, der in Havanna und im spanischen Valencia Rechtswissenschaften studiert hat, in den Revolutionären Streitkräften Kubas als Militärrichter tätig war und an der Universität Havanna eine Assistenzprofessur innehatte, gehörte ab 2018 der Kommission der Nationalversammlung zur Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs an. Er ist seit 2016 Mitglied im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas und war deren Delegierter auf dem sechsten, siebten und achten Parteitag sowie eingeladen zur ersten nationalen Konferenz. Acosta war am 2. Dezember 2024 anlässlich eines Fachgesprächs der Gruppe Die Linke über die US-Blockade gegen Kuba im Deutschen Bundestag zu Besuch. (nb)
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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