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Aus: Ausgabe vom 09.12.2024, Seite 10 / Feuilleton
Politpunk

Die falsche Regierung

Die Goldenen Zitronen feierten ihr 40. Bandjubiläum im Festsaal Kreuzberg in Berlin
Von Tim Meier
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Menschen haben keine Ahnung: Die Goldenen Zitronen

Schreibst du auch mal über Bands, deren Mitglieder nicht jenseits der 40 oder 50 sind?, frage ich mich auf dem Weg zur alten Mauergrenze. Und kontere mürrisch-neunmalklug mit einer Zeile aus »Mila«: »Längst schon sind die Jüngeren die Älteren.« Das zweite Stück auf dem Album »Lenin« (2006) von den Goldenen Zitronen ist immer noch ein persönlicher Liebling. Nirgends wird die tote Seele der Aushilfsyuppies, die vom Land für ein bisschen Action neben dem elterlich finanzierten VWL-Studium in die Großstadt ziehen, so schön auf den Punkt gebracht. Okay, vielleicht bei »0.30, gleiches Ambiente« auf »Economy Class« von 1996. Am Mittwoch abend ist »Mila« die zweite Zugabe im Berliner Festsaal Kreuzberg auf der »Zauberhaften Ballnacht«, dem dritten Termin ihrer Tour. Die Goldenen sind jetzt 40.

Wie so viele 80er-Deutschpunkbands rumpelten die Zitronen einst zwischen Krach, Rock, Satire und Schlager herum, ärgerten Popper (»Der Tag, als Thomas Anders starb«), schrieben Szenehymnen (»Für immer Punk«). Nach der Konterrevolution 1989 attackierten sie die »Neudeutsche Größe«, verarbeiteten den pogrom­lastigen Zeitgeist der 90er in »Das bisschen Totschlag« (1994) und verließen diesen Pfad nicht mehr. Mit immer bissigeren Texten und durchaus sperrigen Melodien ging’s weiter gegen die Bundesrepublik.

Nun wohnt auch dem linken Subversiven ein eher kurzlebiger Charakter inne, besonders das Spätwerk der Goldies zeichnet sich aus durch eine gewisse Fluchtneigung in Richtung postmoderne, abstraktere Gefilde. Die Vorreiter der Hamburger Schule stehen schlicht auf verlorenem Posten, wenn Zivilgesellschaft oder Jugendkultur sich der Staatsräson mit »Aufstehen, Aufstand, Anstand« (»Flimmern«) anbiedern. Obgleich der politische Standpunkt immer noch ein linksradikaler ist, wie »Lenin« und spätere Veröffentlichungen mindestens andeuten. Im Festsaal entschuldigen sich die Musiker, bevor sie »Alles, was ich will (Nur die Regierung stürzen)« spielen: »Wir haben das Lied damals geschrieben, da begann gerade die Regierung Krenz – leider wurde die falsche Regierung gestürzt.«

Keine Frage, die Gruppe um die beiden Gründer Ted Gaier und Schorsch Kamerun ist ein eminent wichtiger Bestandteil linker Musikgeschichte, textlich, musikalisch. Jüngere und Ältere sind in den Festsaal gekommen. Die Goldenen Zitronen geben ein Potpourri aus bekannten und weniger bekannten Stücken, unterhalten mit Instrumentenwechseln, Anekdoten, Überraschungen. Bei »Für immer Punk« oder »Porsche, Genscher, Hallo HSV« (Kamerun: »Der Titel ist immer noch echt in Ordnung. Beim Rest des Textes will ich, dass man den nicht versteht.«) intoniert eine Harfenistin die Stücke. Prollpogo muss draußen bleiben. Schöne Kostüme, wechselnde Gäste runden den Abend, die Vielfältigkeit der Band ist längst legendär. Punk, Rock, Elektronika, Pop, Spoken-Word-Performance, alles dabei. Nach drei Stunden endet die Vorstellung. Schön war’s.

Die Goldenen Zitronen: »Inventur« (1984–2024, 3 LPs) (Buback)

Termine: 19. Dezember, Hamburg, Kampnagel; 21. Dezember, Wien, Arena

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