Grüße aus der Achterbahn
Von Sören BärIm Schach-WM-Match in Singapur zwischen Titelverteidiger Ding Liren (China) und Herausforderer Gukesh Dommaraju (Indien) ist die Spannung auf dem Siedepunkt. Nach zwölf Partien steht es 6:6. Erreicht in den beiden abschließenden Begegnungen keiner der Antipoden 7,5 Punkte, muss ein Schnellschach-Tiebreak die Entscheidung bringen.
Die Begegnungen sieben bis zehn endeten nach spannenden Verläufen mit Punkteteilungen. Die siebente Partie am 3. Dezember stufte sogar der Weltranglistenerste Magnus Carlsen (Norwegen) als »phantastisch« ein. Der 18jährige Herausforderer Gukesh wartete mit einem neuartigen Eröffnungskonzept auf, doch der 32jährige Champion fand mit hohem Zeitaufwand starke Ressourcen und den Weg zum Ausgleich. In der achten Runde erlebten die Kontrahenten eine Achterbahnfahrt. Nachdem Gukesh als Schwarzer erneut für eine Überraschung in der Eröffnung gesorgt hatte, erspielte er sich Vorteil, übersah aber Tricks seines Opponenten und geriet in eine Verluststellung, in der wiederum Ding an der Verwertung scheiterte. In der neunten Begegnung fand der Weltmeister in Zeitbedrängnis überzeugende Antworten auf die seltene Debütstrategie Gukeshs, und im zehnten Aufeinandertreffen spielten beide mit 99prozentiger Präzision, so dass Gukesh die leichte Initiative Dings neutralisierte.
Das aufregende Hin und Her kulminierte in der elften Partie am Sonntag. Schon nach dem fünften Zug hatte Ding mehr als eine Stunde überlegt, doch gelang es dem Chinesen mit starken Zügen, Gukesh zu überspielen. Hätte Ding noch 15…e6 und 16…Dd6 gefunden, wäre er sehr wahrscheinlich als Sieger vom Brett gegangen. Er entschied sich für 15…g6, was mit den Ideen 16…h5 und 17…Lh6 ebenfalls verheißungsvoll aussah, doch würdigte er den Zwischenzug 17.b6 nicht. Danach war Dings Nervenkostüm der Anspannung nicht mehr gewachsen. Ihm unterlief mit 27…Dc8?? ein Patzer, der nach 28.Dxc6 zur sofortigen Kapitulation führte. Damit lag Gukesh erstmals vorn.
Bei drei verbliebenen Partien war es nun an Ding, auf Bestellung zu gewinnen. Ihm gelang es tatsächlich, im richtigen Moment mit Weiß ein »Spiel auf ein Tor« aufzuziehen und eine der besten Partien seiner Karriere zu zelebrieren. Der Chinese schränkte im Stile Anatoli Karpows die Aktivität der gegnerischen Figuren ein und plazierte seine eigenen Steine optimal. Seine klare positionelle Überlegenheit verwertete er taktisch mit einer petite combinaison und wiederholte sein Kunststück aus dem WM-Kampf 2023, als er die Führung Jan Neponjaschtschis ebenfalls postwendend in der zwölften Runde egalisiert hatte.Am 11. Dezember steigt die 13. Partie. Die FIDE und chess24 übertragen live.
Ding Liren – Gukesh Dommaraju, Schachweltmeisterschaft 2024, Singapur, Runde zwölf, 9. Dezember 2024, Réti-Eröffnung
1.c4 e6 (Eine Abweichung von der 8. Partie, in der 1…e5 geschah.) 2.g3 d5 3.Lg2 Sf6 4.Sf3 d4 5.O-O Sc6 (Ding spielte in Stavanger 2024 gegen Carlsen 5…c5. Nach 6.e3 Sc6 7.exd4 cxd4 8.d3 Ld6 9.Sbd2 0-0 10.Sg5 Le7 11.f4 Tb8 12.De2 Dc7 13.g4 b5 14.b3 bxc4 15.bxc4 Tb6 16.Sde4 Sxe4 17.Sxe5 Lb7 18.f5! +/= verwertete Carlsen seinen Vorteil.) 6.e3 Le7 7.d3 dxe3?! (Besser erscheint 7…e5 8.exd4 exd4 9.a3 a5 10.Lg5?! 0-0 11.Lxf6 Lxf6 =/+, wonach Ding 2014 als Nahziehender gegen seinen Landsmann Wang schon leichten Vorteil hatte.) 8.Lxe3 e5 9.Sc3 O-O 10.Te1 h6?! N (Eine unglückliche Neuerung - 10…Le6 erfolgte in Postny-Parchow, Jerusalem 2022.) 11.a3 a5 12.h3 Le6 13.Kh2 Tb8 14.Dc2 Te8 15.Sb5! Lf5 16.Tad1 Sd7 17.Dd2! (Die Dame verlässt die Fesselung durch den Lf5, bereitet damit 18.d4 vor und nimmt a5 aufs Korn.) 17…Lg6 (Ding erwähnte 17…Sc5 18.d4! Sd3 19.d5! Sxe1 20.Dxe1 Sd4 21.Sfxd4 exd4 22.Sxd4 Lg6 23.Dxa5+/-, wonach er sich zweier Mehrbauern und des Läuferpaars für die Qualität erfreut hätte.) 18.d4! e4 (18…exd4?! 19.Lf4! Tc8 20.Sfxd4 Sxd4 21.Dxd4 Sc5 22.Sxc7! Txc7 23.Dxd8 Txd8 24.Lxc7 +-) 19.Sg1 Sb6 20.Dc3 +/- (Auch 20.Dc2, 20.Dc1 und 20.De2 kamen in Betracht.) 20…Lf6? (20…f5 war Pflicht.) 21.Dc2 a4 22.Se2 Lg5 23.Sf4! (Alle weißen Figuren stehen perfekt.) 23…Lxf4 24.Lxf4 Tc8 25.Dc3 +- Sb8?! 26.d5 (26.Sa7 +- gewann die Qualität.) 26…Dd7?! (26…Sa6) 27.d6! c5 28.Sc7 Tf8 29.Lxe4 Sc6 30.Lg2 Tcd8 31.Sd5! Sxd5 32.cxd5 Sb8 33.Dxc5 Tc8 34.Dd4 Sa6 35.Te7 Db5 36.d7 Tc4 37.De3 Tc2 38.Ld6! f6 (38…Dxb2 39.Te8! +-) 39.Txg7+! (39…Kxg7 40.Lxf8+ Kxf8 41.d8D+ +-) 1:0
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!