»Alle retour, aber subito!«
Von Kim NowakNachdem die vom Westen als »Rebellen« bezeichneten Dschihadisten des Al-Qaida-Ablegers Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) die Regierung Baschar Al-Assads gestürzt haben, atmen viele Syrer innerhalb und außerhalb des Staates auf. Nicht nur in Deutschland gingen Syrer tanzend und singend auf die Straße und feierten ein »freies Syrien«. Auch in der Schweiz zeigten sich ähnliche Bilder. Derzeit befinden sich etwa 20.000 Menschen aus dem arabischen Staat in der Alpenrepublik. Doch die Mehrheit der Geflüchteten hat seit 2011, als der Krieg in Syrien begann, nur einen vorläufigen Schutz erhalten. Von den insgesamt 27.000 Asylverfahren wurden nur 35 Prozent uneingeschränkt positiv beschieden. 18 Prozent bekamen eine Ablehnung, 47 Prozent der Antragsteller wurde eine vorläufige Aufnahme gewährt. Besonders für letztere stellt sich jetzt die Frage, wie es weitergeht.
Dass sich die Lage in Damaskus bessern wird, stellen auch westliche Politiker in Frage. Den Dschihadisten wurde vom Westen zwar faktisch freie Hand gewährt, die Regierung in Bern erkennt aber noch eine »unsichere Lage« an. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) betonte am Montag, dass es alle anhängigen Asylverfahren vorerst eingestellt hat. Für die vorläufig Aufgenommenen bedeutet das jedoch eine weitere Unsicherheit. Denn das SEM hebt hervor, dass Abschiebungen nicht auszuschließen seien, wenn »die Situation neu beurteilt werden kann«. Wie sich eine Situation zum Besseren wenden kann, in der Dschihadisten ein islamistisches Syrien aufbauen, bleibt das Geheimnis des SEM. Für die Behörde reicht es schon, wenn es eine »stabile Regierung« geben wird.
Für die rechte Schweizerische Volkspartei (SVP) scheint die Sache allerdings schon klar zu sein. Wie das Boulevardblatt Blick am Montag berichtete, fordert SVP-Parteichef Marcel Dettling eine sofortige Abschiebung: »Wenn Syrer in der Schweiz über das Ende von Assad jubeln, sollen sie auch gleich alle retour, aber subito!« Die Sozialdemokraten (SP) mahnen indes zur Vorsicht. Unter Hinweis auf die Menschenrechte sieht SP-Kopräsident Cédric Wermuth besonders Frauen in einer unsicheren Lage. Die Kritik richtet sich auch an die Türkei, die gerade ihren Krieg gegen die kurdischen Gebiete in Nord- und Ostsyrien intensiviert. Der Präsident der FDP-Liberalen, Thierry Burkart, sieht es »skeptisch«, dass nun Dschihadisten in Damaskus an der Macht sind: »Ich frage mich, was sich in diesem gebeutelten Land entwickelt« und ob sich die »Situation unter den Islamisten für die Bevölkerung« wirklich verbessere.
Und wie reagiert die syrische Diaspora in der Schweiz auf den Sturz Assads? Auch dort gibt es unterschiedliche Ansichten. Der Schweizer Rundfunk SRF griff am Montag ein paar Stimmen auf. So betonte Sahér Aljamus, die in Syrien Englisch unterrichtet und als Journalistin gearbeitet hat, dass sie gerade gerne vor Ort wäre: »Um diese große Freude zu sehen, die die Herzen der Syrerinnen und Syrer erfasst.« Kritischer sind Äußerungen von Kurden. Malek Ossi, Kogeschäftsführer des Solinetzes Zürich, der vor neun Jahren in die Schweiz geflohen war, begrüßte zwar, dass Assad weg sei. Allerdings hält er die Situation der Kurden für schwierig: »Gerade für sie ist die Lage heute gefährlicher und unberechenbarer als vor dem Sturz des Assad-Regimes«, so Ossi, dessen Verwandte derzeit in Ost- und Nordsyrien leben. »Es herrscht Angst und Unsicherheit.«
Wie die Schweiz die Situation in Syrien zukünftig einschätzen wird, steht völlig in den Sternen. Eine Tendenz ist jedoch erkennbar: Die Syrer sollen so schnell wie möglich zurück. Das ist auch der verklausulierte Tenor der SP: »Wir müssen der neuen Koalition unsere Unterstützung zur Stabilisierung und für den Wiederaufbau des Landes anbieten.« Also den Dschihadisten die Hand reichen. Damit hat der Westen ja reichlich Erfahrung.
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