»Eine dringend gebotene Notwendigkeit«
Interview: Gitta DüperthalNach dem Ende der Ampelregierung liegt nun ein Gesetzentwurf von 328 Bundestagsabgeordneten zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zur Abstimmung im Bundestag bereit. Warum sprechen Sie sich für diesen Entwurf aus?
Unserem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung geht es darum, dass der Paragraph 218 komplett aus dem Strafgesetzbuch entfernt wird. Nach dem Gesetzentwurf verbleibt dort nur eine Regelung für den Fall, dass der Abbruch gegen den Willen der Schwangeren durchgeführt wird. Ansonsten würde er ins Schwangerschaftskonfliktgesetz überführt werden. Der Entwurf sieht vor, dass ein Schwangerschaftsabbruch weiterhin nach einer medizinischen, kriminologischen oder der Beratungsindikation erfolgen kann. Die Beratungspflicht bleibt bestehen, jedoch entfällt die dreitägige Wartepflicht. Direkt danach kann der Abbruch vorgenommen werden. Wichtig ist auch, dass die Krankenkasse nach dem neuen Entwurf die Kosten übernimmt, weil der Schwangerschaftsabbruch ja kein Straftatbestand mehr ist. Bislang mussten Betroffene den Eingriff größtenteils selber finanzieren, mit Ausnahme von Frauen in Bezug von Sozialhilfe oder Niedriglohn.
Sie fordern die Mitglieder des Rechtsausschusses und die Fraktionsvorsitzenden auf, den Entwurf jetzt abzustimmen. Weshalb ist es Ihnen wichtig, dass es vor der Neuwahl am 23. Februar dazu kommt?
Der Prozess dieses Gruppenantrags bis zur dritten Lesung im Bundestag hat begonnen. Am 5. Dezember war er in erster Lesung, er kommt in den Rechtsausschuss, es gibt eine Expertenanhörung. Wir fordern, diesen Prozess einzuhalten und ihn nicht zu verzögern. Es gibt nur noch drei Sitzungswochen in dieser Legislaturperiode. Es ist möglich, ihn jetzt durchzubringen. Würde er verzögert, wäre der Entwurf damit nichtig. Alte Gesetzesentwürfe können nicht in die neue Legislatur übernommen werden; also müsste erst ein neuer geschrieben und dafür neue Mehrheiten gesucht werden. Zu befürchten steht, dass nach der Wahl mehr konservative und AfD-Abgeordnete in den Bundestag einziehen könnten. Die werden ja nicht müde zu betonen, dass sie dagegen sind, den Abbruch für ungewollt Schwangere zu entkriminalisieren. Es bleibt nur das kleine Zeitfenster vor der Neuwahl.
Partei- und Wahltaktik dürfen den Weg zur überfälligen Neuregelung nicht blockieren, fordern Sie. Wer will blockieren, dass das Gesetz jetzt im Bundestag verabschiedet wird?
CDU und AfD wissen um die Chance, dass die Reform im Bundestag jetzt noch positiv abgestimmt werden könnte. Sie lehnen das ab. Die CDU betonte, den Entwurf nicht aus dem Ausschuss herauskommen lassen zu wollen. Wir brauchen eine einfache Mehrheit. SPD, Grüne, Linke und BSW befürworten den Entwurf. Es hängt von der FDP ab. Sie würde mit einer unentschiedenen Haltung dazu beitragen, dass es dazu nicht kommt. Zwar forderten FDP-Mitglieder, den Entwurf jetzt positiv abzustimmen, weil er auch ein liberales Anliegen sei. Es gibt aber Abgeordnete, die vor der Wahl keine konservativen Wähler vergraulen möchten.
Wer engagiert sich für die lange geforderte Veränderung des Paragraphen 218?
Eine breite Mehrheit von 80 Prozent der Bevölkerung will die Änderung dieses Paragraphen. Eine interdisziplinäre Expertenkommission empfiehlt, dies so zu beschließen. Fast 100 führende Verbände und Netzwerke fordern es, darunter Organisationen, die mit Betroffenen arbeiten, wie die Beratungstelle Pro Familia oder »Doctors for Choice«, wo die Abtreibung durchführende Ärztinnen organisiert sind. Außerdem auch gesellschaftliche Organisationen wie Verdi, der Paritätische Gesamtverband oder der Deutsche Frauenrat. Wir appellieren deshalb an alle Abgeordneten im Bundestag: Sie müssen nicht dafür stimmen, aber sie dürfen auch nicht die Abstimmung dieses Entwurfs blockieren. Er ist im Interesse des demokratischen Gemeinsinns und eine dringend gebotene Notwendigkeit für ungewollt schwangere Frauen.
Annika Kreitlow ist Sprecherin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung
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