Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 13.12.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Deutsche Außenpolitik

»Diplomatie ist das Gebot der Stunde«

Über die kritische Lage in Nahost und deutsche Waffenlieferungen an Israel. Ein Gespräch mit Michael Lüders
Von Carmela Negrete
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Rüstungsnachfragen aus Israel behandelt die Bundesregierung mit höchster Priorität (Panzermunition bei Rheinmetall in Unterlüß)

Herr Lüders, in Syrien wurde der Diktator Baschar Al-Assad gestürzt. Wie geht es dort nun weiter, und wie sollten sich Brüssel und Berlin positionieren?

So groß die berechtigte Freude über den Sturz Assads in Syrien auch ist – die Zukunft des Landes bleibt ungewiss. Die Macht haben nunmehr Islamisten und Hardliner aus dem Umfeld von Al-Qaida. Die geben sich zwar gemäßigt, das muss aber so nicht bleiben. Zu befürchten ist, dass auf die Euphorie des Neuanfangs eine harte Landung folgt. Machtkämpfe und anhaltende Gewalt, vergleichbar der Lage im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins oder in Libyen nach dem Sturz Ghaddafis, sind auch für Syrien nicht auszuschließen. Der Westen wäre gut beraten, die Sanktionen gegen Syrien aufzuheben, denn ansonsten kann der Wiederaufbau nicht gelingen, und außerdem keine Stellvertreterkriege in Syrien zu befeuern. Das israelische Vorgehen, auf den Golanhöhen vorzurücken und hunderte Luftangriffe in Syrien zu führen, gefährdet den Neuanfang. Überlegungen zur »Rückführung« syrischer Flüchtlinge verbieten sich gegenwärtig angesichts der unsicheren Lage.

Sie sind Nahostexperte und Politiker der Partei von Sahra Wagenknecht, das BSW, für das sie kandidieren. Wie bewerten Sie die Beziehungen der Bundesregierung zu Israel, insbesondere im Hinblick auf die deutschen Waffenlieferungen dorthin?

Wir beobachten, dass im Gazastreifen gezielt Gewaltakte verübt werden, die viele als Völkermord einstufen. Wegen des Militäreinsatzes gibt es sogar einen Haftbefehl gegen den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu. Das sind äußerst schwerwiegende Vorwürfe. Hinzu kommt, dass Nicaragua vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag Klage gegen Deutschland eingereicht hat – wegen Beihilfe zum Völkermord durch Waffenlieferungen. Diese Entwicklungen zu ignorieren, wie es die Bundesregierung derzeit tut, halte ich für inakzeptabel. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant Israels. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Eskalation in der Region sollte sich die Bundesregierung dringend mit den Realitäten vor Ort auseinandersetzen und ihre Politik überdenken.

Die Regierung möchte offensichtlich nicht, dass im Land jemand dagegen protestiert. Ist das nicht gefährlich für die Demokratie in Deutschland?

Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Waffenlieferungen an Israel ab und kritisiert, dass die Regierung an den Bedürfnissen und Wünschen der Bürger vorbeiregiert. Die Bundesregierung scheint im Gegensatz zur Mehrheit der Deutschen auf eine militärisch geprägte Lösung zu setzen, anstatt ernsthaft eine Verhandlungslösung anzustreben. Es ist problematisch, wenn die Kluft zwischen dem, was die Regierung tut, und dem, was die Bevölkerung wünscht, immer größer wird. Dies ist jedoch nur ein Teil des umfassenderen Problems dieser Ampelregierung, die offenbar den Bezug zur Realität verloren hat und nicht mehr auf die Menschen hört. Viele Bürger, insbesondere diejenigen mit einem sogenannten Migrationshintergrund, fühlen sich emotional nicht mit der aktuellen Politik verbunden.

Im Bundestag wurde nun eine Resolution gegen Antisemitismus verabschiedet, und denen, die auf den Straßen protestieren, wird immer wieder vorgeworfen, antisemitisch zu sein. Wie sehen Sie das?

Nach Ansicht der Bundesregierung gilt offenbar: Wer Israel kritisiert, ist ein Antisemit. Das ist im Kern auch die Botschaft der Antisemitismusresolution, die diese problematische Gleichsetzung vornimmt. Damit übernimmt man die Argumentation der Apologeten eines Großisrael und unterstellt, dass jede Kritik an der Regierung Netanjahu antisemitisch sei. Diese Vorstellung ist absurd. Es gibt zahlreiche Juden sowohl in der jüdischen Diaspora als auch in Israel selbst, die diese Politik ablehnen und vehement dagegen protestieren. Die Bundesregierung begibt sich hier auf gefährliches Terrain. Mit dieser undifferenzierten Haltung zu Israel riskiert Deutschland, immer stärker in die Verbrechen der israelischen Staatsführung verwickelt zu werden – Verbrechen, die von immer mehr internationalen Institutionen, darunter zuletzt Amnesty International, als Völkermord eingestuft werden.

Denken Sie, dass auch antimuslimische Ressentiments eine Rolle bei den Vorwürfen spielen, die gegen die Demonstranten erhoben werden?

Es wird oft behauptet, Antisemiten seien vor allem Migranten, insbesondere muslimische Zuwanderer. Insofern dient diese Argumentation auch als eine Art Entlastung für »Biodeutsche«. Die können sich damit historisch »entlasten« und sich einreden: »Der Antisemitismus wurde importiert. Er kommt von außen, von Arabern und Muslimen. Wir selbst sind grundsätzlich keine Antisemiten« – zugespitzt ausgedrückt. Diese Wahrnehmung steht jedoch in klarem Widerspruch zur Geschichte. Schließlich waren es im »Dritten Reich« Deutsche und Österreicher, die für die Verbrechen maßgeblich verantwortlich waren – nicht migrantische Zuwanderer. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz werden übrigens die meisten antisemitischen Straftaten von germanisch gesinnten Deutschen begangen. Das wird aber in den Medien anders präsentiert.

Sie waren lange als Journalist tätig. Wie geht dieser Prozess in den Medien vonstatten? Gibt es Vorgaben, oder entscheiden die Journalisten selbst, was berichtet wird?

Meiner Erfahrung nach gibt es selten direkte Vorgaben, was und wie berichtet werden soll. Vielmehr ist es oft so, dass sich Journalisten an den allgemeinen Strömungen und Haltungen orientieren. Unabhängig davon, ob gerade eine SPD-geführte oder eine CDU-geführte Regierung an der Macht ist, wird deren jeweilige Politik häufig nur vorsichtig kritisiert, grundsätzliche Entscheidungen werden selten in Frage gestellt. Statt dessen konzentriert sich die Berichterstattung oft auf Nebensächlichkeiten, Oberflächlichkeiten oder interne Machtspiele im Berliner Politikbetrieb. Dabei gehen jedoch zentrale Fragen unter, wie etwa: Warum lässt die Bundesregierung den wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands weiter zu, ohne ein Sofortprogramm oder ein grundlegendes Nachdenken anzustoßen – sei es in der Regierung oder der CDU/CSU-Opposition?

Das hat viel mit dem Einfluss der USA zu tun. Wie wirkt sich diese Abhängigkeit speziell auf den Nahost-Konflikt aus? Wie könnte Trump in dieser Situation agieren?

Die Nahostpolitik der ersten Trump-Regierung war stark zugunsten Israels ausgerichtet, insbesondere in Bezug auf die Gebiete, die Israel seit 1967 besetzt hält. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie sich die USA gegenüber Deutschland und der EU positionieren. Meiner Überzeugung nach gibt es zwischen den USA dort und der EU oder Deutschland hier keine echte Partnerschaft – zumindest nicht auf Augenhöhe. Trump und seine Administration werden versuchen, die Europäische Union und Deutschland unter Druck zu setzen, insbesondere im Hinblick auf den Handel mit China. Die Botschaft wäre klar: Entweder ihr seid auf der Seite der USA oder auf der Seite Chinas – beides könnt ihr nicht haben. Für Deutschland ist das eine schwierige Situation. Wir haben keine bezahlbare Energie mehr, und unser bisheriges Exportmodell, insbesondere im Automobilsektor, gerät ins Wanken. Die deutsche Wirtschaft steht vor der Herausforderung, sich neu zu erfinden, doch es fehlt an grundlegenden Ressourcen wie bezahlbarer Energie oder den Rohstoffen, wie sie etwa für die Herstellung von Elektrobatterien erforderlich sind. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass wir uns von den USA instrumentalisieren lassen, vor allem in deren geopolitischer Auseinandersetzung mit China.

Zum Abschluss: Was wollen Sie mit Ihrer Bundestagskandidatur in der Politik erreichen?

Mit meiner Kandidatur für das BSW möchte ich mich dafür einsetzen, dass Deutschland zu einer nicht militärisch orientierten Politik zurückkehrt. Das Gebot der Stunde ist Diplomatie. Dazu gehört, die Welt nicht länger in Gut und Böse zu unterteilen und andere Staaten und Kulturen nicht zu dämonisieren. Gleichzeitig muss die deutsche Wirtschaft wieder solide aufgestellt werden. Deutschland hat in den vergangenen Jahren zu sehr von seiner Substanz gelebt, ohne eine klare Perspektive für eine nachhaltige wirtschaftliche Zukunft zu entwickeln. Statt dessen dominiert derzeit der militärisch-industrielle Komplex in Deutschland und der EU. Die Gelder, die hier investiert werden, fehlen in sozialen Bereichen, in der Bildung und Kultur. Besonders die Jugend leidet darunter, da ihre Ausbildungs- und Berufsperspektiven immer schlechter werden. Außerdem brauchen wir eine neue Diskussionskultur. Die Politik in Deutschland ist oft geprägt von ideologischen Grabenkämpfen. Ich stehe für einen sachlichen Austausch und die Suche nach konstruktiven Lösungen, die unsere drängenden Probleme wirklich angehen.

Michael Lüders ist Politik- und Islamwissenschaftler, tätig als Publizist und Politikberater. Von 2015 bis 2022 war Lüders Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Außerdem war er Beiratsmitglied der Unternehmervereinigung Nah- und Mittelost-Verein (NUMOV). Seine jüngste Sachbuchveröffentlichung trägt den Titel »Krieg ohne Ende? Warum wir für Frieden im Nahen Osten unsere Haltung zu Israel ändern müssen«, erschienen 2024 im Münchener Goldmann-Verlag. Seit Januar 2024 gehört Lüders dem erweiterten Parteivorstand des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) an. Für den Bundestag kandidiert er auf Platz eins der Landesliste Sachsen-Anhalt.

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