Helfershelfer
Von Sevim DagdelenDer türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ist zurück auf der NATO-Bühne. Sein Ausflug mit Annäherungsversuchen an die BRICS-Staaten darf als schlaues Täuschungsmanöver gewertet werden. Bei der Machtübernahme in Syrien durch die von der Türkei großzügig unterstützten islamistischen Terrororganisationen HTS und SNA erwies er sich jedenfalls wieder als der zuverlässige Mann des selbsterklärten Werte- und Verteidigungsbündnisses. Der Bundesregierung war dieser Schwenk offenbar vorab bekannt. Erdoğan wurde für seine neue Willfährigkeit großzügig belohnt. Im zu Ende gehenden Jahr 2024 wurden Rüstungsexporte in die Türkei auf Rekordniveau genehmigt. Waffen im Wert von über 230 Millionen Euro, so viel wie seit 2006 nicht mehr. Die Entscheidung der Bundesregierung fiel wieder einmal im Fahrwasser der USA, die dem NATO-Partner Carte blanche in Syrien erteilten, auch was die kurdischen Gebiete angeht. Alles westlich des Euphrat hat sich die SNA bereits einverleibt. Was aber tun, wenn das schöne Sprichwort »Der Appetit kommt beim Essen« auch hier zutrifft?
Wer geglaubt hat, der Wahlbetrug von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, was eine angeblich zurückhaltende Rüstungsexportpolitik angeht, erstrecke sich lediglich auf die Waffenlieferungen an die Ukraine oder an Israel, muss sich eines Besseren belehrt sehen. Kriegswaffen für 79,7 Millionen Euro wurden in die Türkei geschickt – die völkerrechtswidrigen Überfälle des NATO-Partners auf Syrien und Irak sind da schnell vergessen. Kanzler Scholz spricht deshalb von einer Selbstverständlichkeit, da die Türkei NATO-Mitglied sei, und stellt sogar die Lieferung von »Eurofightern« in Aussicht. Es bleibt ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet SPD und Grüne, die Kanzlerin Merkel für ihren Schmusekurs mit Erdoğan ab und an kritisiert hatten, jetzt den Titel der besten Helfershelfer für sich selbst verbuchen dürfen.
Die jüngsten Rekorde bei den Rüstungsexportgenehmigungen an Erdoğan tragen insgesamt zu einem besseren Verständnis des Kerns der wertebasierten Außenpolitik bei. Jemand mag ein Schurke sein, entscheidend ist, er ist unser Schurke, so damals die Reagan-Administration. So scheint man die Sache jetzt auch im Bundeskanzler- und im Auswärtigen Amt zu sehen. Ohne jedes Lametta.
Verteidigungsminister Boris Pistorius möchte in diesem Sinn neue Formate der »Sicherheitskooperation« im Nahen Osten. Das könne auch bedeuten, mit den »neuen Machthabern« in Syrien zusammenzuarbeiten. Und die scheinen hier überaus willig, wenn es ihnen Erdoğan erlaubt. So erklärt sich der Jubel bei den etablierten Parteien in Deutschland über Syrien, während der Justizminister der neuen Machthaber in Damaskus erklärt, dass Frauen kein Richteramt mehr ausüben dürfen und ethnische wie religiöse Minderheiten von den Islamisten drangsaliert werden.
Sevim Dagdelen ist außenpolitische Sprecherin der BSW-Gruppe im Bundestag.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Detlev R. aus Tshwane, Südafrika (13. Dezember 2024 um 12:31 Uhr)Die Ereignisse in und um Syrien gehören gewiss mit zu den seltsamsten Entwicklungen der letzten Zeit. Die wundersame Wandlung terroristischer Organisation wie ISIS und Al-Quaida, einschließlich ihrer bekannten Kopf-ab-Brigaden, zu »gemäßigten«, westliche Werte »respektierenden« Partnern des Westens kommt schon rüber wie ein weihnachtliches Märchen. Ich vermute stark, dass diese Wandlung fast ausschließlich in der Propaganda stattfindet. Aus manchen Berichten von vor Ort setzt sich ein anderes, grausameres Bild zusammen. Legt man die uralte doch ewig junge Frage des cui bono – wer zieht den Nutzen daraus – zugrunde, dann zeichnet sich deutlich ab, dass die »Dreier-Gang« Israel, Turkye, USA hier kräftig von der Zerstückelung Syriens profitieren. Wahrscheinlich haben diese drei den Sturz des Assad-Regimes auch geplant. Ich sehe es genauso wie Sevim Dagdelen, wenn sie schreibt, der Ausflug Turkyes »mit Annäherungsversuchen an die BRICS-Staaten darf als schlaues Täuschungsmanöver gewertet werden.« Über die Rolle Russlands in diesem Schlamassel in West-Asien aka »Naher Osten« wird all-weil gerätselt. Auch der Kreml hat heftige global-politische Interessen und handelt nicht etwa aus solidarischem Mitgefühl, schon gar nicht aus sozialistischem. Vielleicht spielt ja hier eine Rolle, dass sich möglicherweise eine (diplomatische) Entwicklung in Sachen Ukraine-Krieg anbahnt? Aber das ist Spekulation.
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