Antifeminismus als Kitt
Von Frederic Schnatterer, MadridIn der Schlange vor mir steht Lucy Akello. Die ultrakonservative Parlamentarierin aus Uganda ist schick gekleidet und plauscht mit Gleichgesinnten, während sie auf den Einlass in die pompösen Räumlichkeiten des spanischen Senats wartet. Als Gudrun Kugler, ÖVP-Abgeordnete in Österreichs Nationalrat, auftaucht, wird sie herzlich begrüßt. Küsschen rechts, Küsschen links. »How are you, my friend from Africa?« fragt Kugler. Euphorisch erzählt Akello von einem Treffen, das vor kurzem in Paris stattgefunden habe.
Schnell wird an diesem Montag morgen Anfang Dezember klar: Man kennt sich in den ultrarechten Kreisen, die sich seit Jahren immer stärker auch international vernetzen und gerade auf Einladung des Thinktanks »Political Network for Values« zum sechsten »Transatlantischen Gipfel« in Madrid zusammenkommen. Das Motto des prominent besetzten Treffens: »Für die Freiheit und eine Kultur des Lebens«.
»Verpasst nicht die Möglichkeit, euch kennenzulernen und zu vernetzen«, fordert José Antonio Kast die Teilnehmer als scheidender Präsident des Networks in seiner Begrüßungsrede auf. Der Vorsitzende der ultrarechten chilenischen Republikaner wird vom kroatischen EU-Abgeordneten Stephen Bartulica abgelöst, der der Fraktion der rechtskonservativen EVP angehört. Nach seiner Wahl in den Vorsitz erklärt er: »Ich will nur sagen, dass ich mein Bestes tun werde, um in die Fußstapfen früherer Präsidenten zu treten und Leben, Familie und Freiheit zu verteidigen.«
Antifeminismus und der angebliche Einsatz für das Leben, sprich: gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche, spielen für Ultrarechte seit langem eine wichtige Rolle. Doch es erstaunt, wie einfach beides von politischen Stiftungen, Parteien und Kirchen mit anderen für den ultrakonservativen Backlash zentralen Themen in Verbindung gebracht wird. Gleichzeitig wirkt der Antifeminismus als Kitt für Allianzen mit Akteuren aus christlich-fundamentalistischen Kreisen.
Das Programm des Gipfels ist lang. Referenten aus insgesamt 45 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas sowie Afrikas sprechen über »die Herausforderung für die Freiheit in heutigen Demokratien«, »den Einfluss einer Kultur des Lebens auf die demographische Herausforderung«, »Mütter, Kinder und Familien im Zentrum der öffentlichen Politik«, »Rede- und Religionsfreiheit als Säulen der Demokratie« oder über den »Schutz des Lebens in seinen verletzlichsten Formen«.
Die reaktionäre Agenda wird als Kampf für die Freiheit gelabelt. Und diese, so die Redner, sei in Gefahr. Der Tenor der Beiträge: Eine »Kultur des Todes« (als Folge von Atheismus und Materialismus) bedroht das christliche Grundgerüst des Westens. Die Gefahr gehe dabei von »Wokeismus«, dem radikalen Feminismus, Indoktrinierung, Menschen aus nichtwestlichen Kulturen, der EU, den »globalistischen Eliten«, einer »Abtreibungsindustrie« oder dem Sozialismus-Kommunismus aus.
Die Folge sei ein »demographischer Suizid« bzw. eine »demographische Rezession«, die schlimmer sei als eine wirtschaftliche, so Kugler. Deshalb sei es an der Zeit, die traditionellen Werte und die »natürliche Ordnung« rund um die Familie, die nur aus einem biologischen Mann und einer biologischen Frau bestehen könne, zu verteidigen. Die spanische Universitätsprofessorin María Calvo schwärmt: »Jede Frau ist dafür gemacht, Leben zu schenken.« Der argentinische Abgeordnete Nicolás Mayoraz erklärt: »Seit dem Moment, in dem unsere Gesellschaften Gott verlassen haben, befinden wir uns in der Krise.«
Die Vorträge erinnern sowohl an Wahlkampfveranstaltungen als auch an Predigten. Diskutiert wird nicht, es geht um Selbstvergewisserung und Aufstachelung. Die Ultrarechte ist heute breit aufgestellt. Darin, das zeigt der »Gipfel« in Madrid, liegt einer der Gründe für ihre jüngsten Erfolge. Oder, wie es Stefano Gennarini vom »Center for Family and Human Rights« ausdrückt: »Sie verlieren, und sie wissen es. Die Biologie ist auf unserer Seite, die Wirtschaft ist auf unserer Seite.«
Während die Euphorie im spanischen Senat spürbar ist, bleibt der Protest vor dem Gebäude klein. Klagen von linker Seite, dass den Frauenfeinden die öffentlichen Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt wurden, hatten nichts genutzt.
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