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Aus: Ausgabe vom 16.12.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Krieg in der Ukraine

Luftkrieg gegen Energieanlagen

Bei der Abwehr russischer Raketenangriffe hat die Ukraine bisher nur geringe Erfolge zu verzeichnen
Von Lars Lange
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Seit Monaten zielt Russland mit zunehmendem Erfolg darauf, die Energieversorgung der Ukraine lahmzulegen (ohne Ortsangabe, 28.11.2024)

Vor mehr als einem Jahr begannen die russischen Streitkräfte eine strategische Luftkampagne gegen die Energieinfrastruktur der Ukraine, und das mit zunehmendem Erfolg. Vergangenen Mittwoch mussten dort landesweit sowohl Haushalts- als auch Industriekunden Stromausfälle zwischen sieben und 22 Uhr hinnehmen, für Sonntag waren Unterbrechungen zwischen acht und 22 Uhr angekündigt. Durch die Luftkampagne gegen Energieinfrastrukturziele wird die Ukraine regelrecht deindustrialisiert – denn ohne Energie keine industriellen Prozesse. Möglich wurde dies durch die schwersten Raketenangriffe aller Zeiten.

Im August gab der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Olexandr Sirskij, Zahlen bekannt, die kaum Beachtung gefunden haben und die ebenso die beispiellose Intensität der russischen Angriffe zeigen, wie sie vor allem auch den Abwehrerfolg der ukrainischen Luftabwehr beleuchten. Dabei wird deutlich: Die Abfangraten sind in vielen Kategorien deutlich niedriger als bisher angenommen. Besonders gravierend für die Ukraine ist die Situation bei umgewandelten russischen Luftabwehrraketen, die gegen Bodenziele eingesetzt werden.

Seit Beginn des Krieges am 24. Februar 2022 bis Mitte August 2024 hat Russland 9.590 Raketen und 13.997 Drohnen gegen die Ukraine eingesetzt. Laut den vorgelegten Zahlen konnten lediglich 2.429 Raketen (25 Prozent) und 5.972 Drohnen (43 Prozent) abgefangen werden. Obwohl moderne Luftabwehrsysteme wie das europäische »Iris-T«- oder das US-amerikanische »Patriot« im Einsatz sind, zeigt sich, dass die Abwehr weit von den oft propagierten Erfolgsraten entfernt ist.

Besonders bei ballistischen Raketen wie dem »Iskander«- oder »Totschka-U«-System wird die Problematik deutlich: Von 1.388 abgefeuerten Raketen konnten nur 4,5 Prozent abgefangen werden. Noch erschreckender ist die Lage bei umgebauten Flugabwehrraketen der Typen S-300 und S-400, die von Russland gegen Bodenziele eingesetzt werden. Hier liegt die Abfangrate bei gerade einmal 0,63 Prozent. Insgesamt wurden 3.008 dieser Raketen abgefeuert, überwiegend auf die Energieinfrastruktur der Ukraine.

Ein weiteres Beispiel für die Herausforderung moderner Luftabwehr ist der Einsatz der sowjetischen Raketen Ch-22 und Ch-32, die von strategischen Bombern wie der Tu-22M3 gestartet werden. Von 362 abgefeuerten Raketen konnten lediglich zwei abgefangen werden – eine Abfangrate von nur 0,55 Prozent. Auch die als präzise geltenden »Onyx«-Raketen, von denen 211 abgefeuert wurden, zeigen mit einer Abfangrate von 5,7 Prozent deutliche Schwächen der ukrainischen Verteidigung.

Etwas besser schneidet die Luftabwehr bei der Bekämpfung von Drohnen und Marschflugkörpern ab. Drohnen, insbesondere die iranischen »Schahed-136«- und russischen »Lancet«-Modelle, werden zu 63 Prozent abgefangen. Marschflugkörper wie »Kalibr«, Ch-555 oder »Iskander-M« zeigen mit einer Abfangrate von 67 Prozent eine vergleichsweise höhere Erfolgsquote.

Es scheint so, dass viele westliche Regierungen und Waffenhersteller bewusst die Wirksamkeit von Flugabwehrsystemen überschätzen, um deren immense Kosten zu rechtfertigen. Doch die Veröffentlichung der ukrainischen Daten liefert ein realistisches Bild der Grenzen moderner Luftabwehrsysteme. Die Erkenntnisse verdeutlichen, dass trotz moderner Technik nicht jedes Ziel abgefangen werden kann. Besonders die niedrigen Abfangraten bei komplexen oder umgewandelten Waffensystemen wie den S-300-Raketen zeigen die Herausforderungen, vor denen die Ukraine steht. Die Angriffe mit Hilfe von Luftabwehrraketen auf Bodenziele wurden von westlichen Beobachtern oft als Zeichen von erschöpften russischen Raketenarsenalen gedeutet.

Aufhorchen lassen muss auch die Abfangrate der Drohnen der »Schahed«-Familie. Diese ist zwar mit 63 Prozent vergleichsweise hoch. Doch diese Kamikazedrohnen sind billig, können mit ihrem 50-Kilogramm-Sprengkopf schwere Schäden anrichten und werden in Massen gegen Ziele in der Ukraine eingesetzt – im November waren es mit 2.444 »Schahed«-Drohnen mehr als jemals zuvor.

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