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Aus: Ausgabe vom 16.12.2024, Seite 4 / Inland
Kurden in der BRD

Öffentlichkeit gegen Generalverdacht

Frankfurt am Main: Gründungsveranstaltung des kurdischen Zentralen Menschenrechtsrats
Von Gitta Düperthal
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Zehntausende feiern das kurdische Neujahrsfest Newroz in Frankfurt am Main (25.3.2023)

In den Räumen von Medico international in Frankfurt am Main wurde am Sonnabend der kurdische Zentrale Menschenrechtsrat (ZMR) gegründet. Das Gewähren bürgerlicher Freiheiten bedeute nicht etwa, dass soziale und politische Rechte nicht verteidigt oder stets wieder neu erkämpft werden müssten, befand Anita Starosta, Referentin der gastgebenden Organisation. »Die politischen Verhältnisse in Deutschland zu idealisieren« sei falsch. Gründungsmitglied des ZMR Gülistan Ateş bescheinigte zunehmenden »antikurdischen Rassismus«: Obgleich Kurden mit etwa 1,5 Millionen Menschen eine der größten migrantischen Gruppen in Deutschland sei, werde ihre kurdische Herkunft quasi gar nicht erfasst, sondern Staaten wie Türkei, Iran, Irak und Syrien zugeordnet. Sie sähen sich willkürlich verfassungsmäßig garantierter Rechte beraubt, wie der Vereinigungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die Berichterstattung der Leitmedien stelle Kurden häufig unter Generalverdacht von Kriminalität oder Gewalt, stigmatisiere sie als »Sicherheitsproblem für Deutschland«. Als eng mit der Türkei verbundene Partner weigerten sich deutsche Politiker einzugestehen, dass dort keine Rechtsstaatlichkeit herrscht. Derzeit seien 18 nach Paragraph 129 b verurteilte politische Gefangene in deutschen Gefängnissen eingesperrt, ohne dass ihnen eine konkret begangene Straftat nachgewiesen worden wäre. Damit Menschenrechtsverletzungen in Deutschland nicht normalisiert werden, wolle der ZMR Öffentlichkeit für all das schaffen.

Sozialwissenschaftler Daniel Loick verdeutlichte: Das Recht auf politische Teilhabe und darauf, Teil einer Gemeinschaft zu sein, sei kaum auf Staaten zu beziehen. Denn da Staaten oftmals selber dagegen verstießen, seien sie meist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Gerade kurdische Menschen müssten mit Polizeigewalt und Inhaftierung rechnen, seien von Ausweisung und Abschiebung bedroht. Staatliche Gewalt äußere sich in Zensur, Überwachung, Schikanen. In der Bundesrepublik erlebten Geflüchtete oft eine Fortsetzung staatlicher Unterdrückung, die sie in der Türkei hatten erleiden müssen. Vor positiven Ideen wie demokratischem Föderalismus, Frauenrechten und Ökologie, die sie in ihren Gemeinschaften umsetzen, wie in Rojava in Nordostsyrien, verschließe man die Augen. Gründungsmitglied Lisa Koç kritisierte, medial und politisch sowie seitens der Behörden werde häufig eine Opfer-Täter-Umkehr vorgenommen. Unerwähnt bleibe, dass kurdische Menschen hier Gefährdete seien – nicht etwa Gefährder, wie oft unterstellt. Die türkische rechte und islamistische Szene werde so ermutigt. Etwa 6.000 Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT beobachteten Kurden in der BRD: »Bereit, sie zu denunzieren oder gar auszuschalten«.

Als eines der drastischen Beispiele der Diskriminierung in Deutschland bezeichnete Gründungsmitglied Dîlan Akdoğan das Verbot, in der BRD kurdische Kunst, Kultur und Musik zu leben. Sie zitierte Ali Kaya, Geschäftsführer des Mezopotamien-Verlags, der berichtete, wie 2018 nach der polizeilichen Beschlagnahme von Tausenden Büchern kurdische Müllmänner die Werke aus dem Müll herausziehen mussten. »Wir wollen ein Umdenken mit der kurdischen Bewegung in Deutschland anstoßen«, so Akdoğan.

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