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Aus: Ausgabe vom 16.12.2024, Seite 5 / Inland
Krise bei Volkswagen

Der Blume-Hersteller

Autos zu teuer, Dividenden zu hoch. Volkswagen und IG Metall treffen sich zur vielleicht entscheidenden Verhandlungsrunde
Von Susanne Knütter
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Insgesamt 103.000 VW-Beschäftigte streikten am 9. Dezember bundesweit (hier in Wolfsburg)

Wird das Land Niedersachsen von seinem Veto Gebrauch machen, wenn Volkswagen wie angekündigt Stellen streichen und Werke schließen will? Auf der linken Seite mehren sich die Stimmen, die das fordern. Die niedersächsische Landesregierung hält sich bedeckt: »Zu Aufsichtsratsangelegenheiten äußern wir uns nicht öffentlich, das gilt erst recht für solche rein hypothetischen Fragen«, hieß es aus der Pressestelle gegenüber jW am Freitag.

In der Vergangenheit hatten sich Niedersachsen, das 20,2 Prozent der Anteile am Automobilkonzern hält und damit über eine Sperrminorität in der Hauptversammlung verfügt, und VW stark abgestimmt. Allerdings sind der Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und die Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne), die derzeit die beiden Sitze Niedersachsens im Aufsichtsrat innehaben, in einem Dilemma: Als Aufsichtsratsmitglieder müssen sie die Interessen der Aktionäre vertreten, als Landesregierung die der Bevölkerung – will man zumindest meinen. Die Vermutung liegt nahe, dass woanders eingespart werden könnte als in Niedersachsen.

Alle Werke stehen zusammen

Und tatsächlich geschieht das ja auch schon. Auf der Betriebsversammlung von VW Sachsen in Zwickau am Donnerstag wurde die bereits im Sommer angekündigte Streichung der letzten 1.000 befristeten Stellen bestätigt. Je nach Vertragslaufzeit beginnt im Januar der Abbau. Im Anschluss an die Betriebsversammlung machte ein offener Brief der betroffenen Beschäftigten an Konzernvorstand, Leitung von VW Sachsen, Landes- und Bundesregierung die Runde. Darin blicken sie zurück auf den Produktionsstart des Elekromodells ID.3.: »Ende des Jahres 2019 begann die Einstellwelle im Fahrzeugwerk. Uns wurden befristete Arbeitsverträge angeboten.« Viele Kollegen hätten feste Arbeitsstellen aufgegeben und längere Arbeitswege in Kauf genommen. Die Auftragsbücher füllten sich, und »keiner von uns hatte in den Jahren 2020–2022 geahnt, was uns hier am Standort bevorsteht.« Sie kritisieren die Politik, der es bis heute nicht gelungen sei, »die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um E-Mobilität wirklich attraktiv zu machen«. Und sie kritisieren den Vorstand, der es nicht geschafft habe, »unsere bestehenden Produkte so aufzuwerten, dass diese am Markt gefragt sind. Wir müssen für dieses Versagen auf ganzer Linie nun bezahlen.«

VW ist ein »Blume-Hersteller«, sagte Florian Hartmann von der IG Metall-Zwickau am Freitag gegenüber jW. Die IG Metall kritisiert, dass der Konzern in erster Linie Autos herstellt, die sich nur jemand wie VW-Chef Oliver Blume leisten kann. Auf die Frage, ob das Risiko für VW Sachsen wächst, wenn Niedersachsen sein Veto gegen Schließungen in dem westdeutschen Bundesland einlegt, will sich der Gewerkschafter nicht einlassen. »Alle Werke stehen zusammen«, sagte Hartmann. Und alle Beteiligten wüssten, wenn man anfängt, unsolidarische Debatten zu führen, sinken die Gewinnchancen. Die IG Metall kämpfe in allen Werken und für alle Werke, solidarisch und gemeinsam, sagte Hartmann.

Das Management von VW-Sachsen, das bei den Tarifverhandlungen mit am Tisch sitzt, wünscht sich, »dass zumindest das jetzige Zweischichtsystem am Standort Zwickau für die nächsten Jahre beibehalten wird«, wie VW-Sachsen-Sprecher Christian Sommer gegenüber jW erklärte. Und schon der Wechsel vom Dreischicht- auf das Zweischichtsystem hatte große Auswirkungen in der Region. Denn an nur einer Volkswagen-Schicht hängen mehrere tausend Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie, so Gewerkschafter Hartmann. In der Zulieferindustrie arbeiten in der Region nach Gewerkschaftsangaben 60.000 Menschen.

Am Montag kommen VW und IG Metall zur fünften und vielleicht entscheidenden Verhandlungsrunde zusammen. Diesmal in einem Hotel in Hannover, weitab von Wolfsburg, wo während der letzten Gesprächsrunde Zehntausende protestiert hatten. Bundesweit beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben 103.000 Kollegen bei VW und den Tochtergesellschaften an Protesten.

Was den Einigungsdruck dieses Mal erhöht: Sollte es bei der Beschäftigungssicherung keine Einigung geben, tritt Mitte 2025 ein sogenannter »Schattentarif« in Kraft, der seit 1993 auf Eis liegt. Statt billiger würde es für VW dann sogar teurer werden. Betreffen würde das rund die Hälfte der Belegschaft, die bereits vor 2005 an Bord war. Hintergrund des Schattentarifs ist u. a. die in der Beschäftigungssicherung enthaltene Einigung zwischen IG Metall und VW auf Arbeitszeitverkürzung und Lohnsenkung. In der Zwischenzeit wurde die Arbeitszeit wieder verlängert, die Löhne wurden aber nicht entsprechend angepasst. Das vorenthaltene Geld müsste ab Januar 2025 bezahlt werden. Auch wäre mehr Urlaubs- und Weihnachtsgeld fällig.

Laut Handelsblatt würden die Gehälter dadurch im Schnitt um 4,5 Prozent steigen – ganz ohne Tarifabschluss. VW würde das demnach am Ende ein bis zwei Milliarden Euro kosten. Sollte es dazu kommen, drohte VW bereits, wären erst recht betriebsbedingte Kündigungen notwendig. Möglich wäre das ab Juli 2025. Gibt es diese Woche keine Einigung, ist eine Eskalation im nächsten Jahr programmiert. Kommt es zu einer schlechten Einigung, dann ebenfalls.

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