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Aus: Ausgabe vom 16.12.2024, Seite 7 / Ausland
Westbank

Verräter begehren auf

Westjordanland: Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen und Einheiten der Palästinensischen Autonomiebehörde. Mindestens ein Toter, mehrere Verletzte
Von Jakob Reimann
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Dschenin, 15. Dezember: Ein Mann mit der Flagge Palästinas zwischen Fahrzeugen der PA in Ramallah

Auch am Sonntag gingen die Kämpfe zwischen bewaffneten palästinensischen Gruppen und regulären Einheiten der palästinensischen Regierung im Westjordanland weiter. Mindestens eine Person wurde getötet, mehrere verletzt. Dschenin, im Norden der von Israel besetzten Gebiete, gilt als Zentrum des bewaffneten palästinensischen Widerstands gegen die Besatzung und war im vergangenen Jahr wiederholt Ziel israelischer Kampfjets und Zerstörungsaktionen. Seit einigen Tagen spielt auch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) unter dem illegitimen Präsidenten Mahmud Abbas eine immer aktivere Rolle im Kampf gegen die bewaffneten Gruppen.

Insbesondere das Geflüchtetenlager der Stadt war Schauplatz der Schießereien und wurde zeitweise von der PA abgeriegelt. Am Sonnabend erschossen PA-Einheiten während der Kämpfe einen Kommandeur der »Dschenin-Brigaden«, des bewaffneten Arms des Islamischen Dschihads in Palästina (PIJ), der laut Al-Dschasira als Jasid Dschaaisa identifiziert wurde. Die sogenannten Volkswiderstandskomitees, ein Zusammenschluss bewaffneter palästinensischer Gruppen, verurteilten dessen Tötung als »schwere Verletzung aller nationalen Normen und Traditionen« und erklärten, die Angriffe der PA stünden »im Einklang mit der zionistischen Agenda, die darauf abzielt, den Widerstand in der Westbank auszulöschen«. Auslöser der jüngsten Gewalt waren Razzien der PA in dem Camp. Die PA sprach von einer »Sicherheitsoperation« mit dem Ziel, Dschenin aus den Händen der »Gesetzlosen« zu befreien, so ein PA-Sprecher gegenüber WAFA. Am Dienstag war bereits ein unbewaffneter 19jähriger von Scharfschützen der PA exekutiert worden, wie das Video einer Überwachungskamera zeigt.

Die PA wurde 1994 im Rahmen des sogenannten Osloer Friedensprozesses gegründet. Zum ersten Präsidenten wurde der PLO-Führer Jassir Arafat gewählt. Nach dessen Tod gewann Mahmud Abbas 2005 mit mehr als zwei Dritteln der Stimmen die Präsidentschaftswahlen. Die Parlamentswahlen im Jahr darauf wurden knapp von der Hamas gewonnen. 2007 kam es zum Bruch zwischen der Hamas und der Fatah von Präsident Abbas, was de facto zur Teilung der Autorität der PA führte: Der Gazastreifen wurde von der Hamas regiert, während das Westjordanland unter Kontrolle der Fatah blieb. Seitdem tagt das Parlament in Ramallah nicht mehr, und infolge dieser Entmachtung, die einem Staatsstreich gleichkommt, wird das Westjordanland von Abbas diktatorisch per Dekret regiert. De facto agiert die PA als verlängerter Arm der israelischen Besatzungsmacht. Mit Gewalt gehen Abbas’ Schergen gegen Oppositionelle und alle Kritiker seines Regimes vor. Wahlen wurden immer wieder verschoben, und seit dem Ende seiner offiziellen Amtszeit im Jahr 2009 regiert Abbas seit nunmehr fast 16 Jahren ohne jegliche demokratische Legitimation.

Sowohl Hamas als auch PIJ werfen der PA im Zuge der aktuellen Kämpfe in Dschenin Kollaboration mit dem Netanjahu-Regime vor – eine Einschätzung, die von vielen Palästinensern geteilt wird. Abbas verfügt über keinen Rückhalt mehr und ist quer durch die Bevölkerung verhasst. Bis auf wenige halbherzige Statements hatte er auch Israels Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Gaza, der im jüngsten Bericht von Amnesty International als »Genozid« eingeordnet wurde, nichts entgegenzusetzen und glänzt hauptsächlich durch Abwesenheit. Auch ist Abbas weder willens noch in der Lage, die Gewalt des israelischen Militärs im Westjordanland oder die immer öfter vorkommenden, teils pogromartigen Überfälle ultrarechter Siedler einzudämmen. Einer Umfrage vom September zufolge forderten 89 Prozent der befragten Palästinenser im Westjordanland Abbas’ Rücktritt.

Diese Gleichgültigkeit gegenüber israelischen Verbrechen und die zunehmende eigene Gewalt gegen Palästinenser werden im hohen Maße als Verrat an der palästinensischen Sache betrachtet. Das wissen freilich auch Abbas und seine PA, die Beobachtern zufolge einen bewaffneten Aufstand im Westjordanland und einen Kontrollverlust ähnlich wie in Gaza fürchten.

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