Um Rente betrogen
Von Jakob Roth, BernSchluss ist mit der schönen Hoffnung, die Schweizer Richter seien fortschrittlicher als die Regierung des Landes: In der vergangenen Woche hieß das Schweizerische Bundesgericht eine Rentenaltererhöhung für Frauen gut, obwohl deren Einführung mit falschen Zahlen begründet wurde. Geklagt hatte die Grüne Partei Schweiz. Mit dem Urteil steht nun fest, dass Frauen in der Schweiz künftig erst mit 65 Jahren in Rente gehen können statt wie bislang mit 64.
Am vergangenen Donnerstag entschied das höchste Schweizer Gericht darüber, ob eine Volksabstimmung über Rentenverschlechterungen für Frauen hätte wiederholt werden müssen. Eine solche Wiederholung wollten die Grünen erreichen. Zuvor war bekanntgeworden, dass das Rentensystem finanziell deutlich besser dasteht, als von der Regierung behauptet worden war. Doch das Bundesgericht wies eine Wiederholung ab.
Hintergrund des juristischen Gezerres ist eine Abstimmung im September 2022. Hier hatte eine hauchdünne Mehrheit von 50.3 Prozent der Stimmbürger für eine von der Regierung vorgeschlagene Reform votiert, die die Heraufsetzung des Frauenrentenalters – und damit eine Angleichung an das Rentenalter der Männer – vorsah. Begründet worden war das Vorhaben mit angeblichen finanziellen Schwierigkeiten des Rentensystems. Doch im August dieses Jahres stellte sich heraus, dass die damals verwendeten Zahlen falsch waren. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hatte die Situation um mehrere Milliarden Franken schlechter dargestellt, als sie real war – angeblich wegen falscher Annahmen in den Berechnungen. Kurz nach Bekanntwerden der falschen Zahlen reichten die Grünen eine Abstimmungsbeschwerde ein.
In einer Medienmitteilung vom Donnerstag erklärte das Bundesgericht, dass eine erneute Abstimmung »aufgrund der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht in Betracht« komme. Tatsächlich argumentieren die drei Richter und zwei Richterinnen damit, dass mit der Reform auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer einhergegangen sei, die die Konsumenten bereits zahlen. Sie zurückzuerstatten sei kaum möglich. Zudem heißt es in dem Kommuniqué: »Auch wenn die Erhöhung des AHV-Alters für Frauen erst im kommenden Januar in Kraft tritt, dürften sich viele Frauen und auch die Arbeitgeberseite bereits darauf eingestellt haben.« Explizit offen lässt das Gericht hingegen die Frage, ob eine Fehlinformation der Öffentlichkeit stattgefunden habe. Eine genaue schriftliche Begründung des Urteils, die über die Medienmitteilung hinausgeht, steht noch aus.
Bei Grünen, Sozialdemokraten und Gewerkschaften rief das Urteil Entsetzen hervor. »Wütend und verbittert« sei man, erklärte die Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone. Das Urteil offenbare eine Haltung, nach der es »einfach nicht so wichtig ist, wenn es um Frauen geht«. Ganz ähnlich äußerte sich auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund, der in Rentenfragen meist die Themenhoheit auf linker Seite besitzt. Noch am Donnerstag titelte der SGB auf seiner Website: »Frauen bleiben um ein Jahr Rente betrogen.«
Gerade gegenteilig äußern sich die Kapitalverbände. So erklärte am selben Tag der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) in einer Mitteilung, dass er den Entscheid begrüße. »Weiter ist es im Sinne der Gleichberechtigung und der Lebenserwartung fair, wenn Frauen und Männer dasselbe offizielle Referenzalter haben«, führte der SAV aus – um in derselben Stellungnahme auch zu erklären, dass er von der Regierung eine weitere »realistische Erhöhung des Referenzalters« erwarte.
Änderungen an der Rente sind in der Schweiz stets hart umkämpft, zumal es in dem Land möglich ist, ein Referendum über von der Regierung vorgeschlagene Gesetze einzuberufen. Diese Besonderheit der Schweiz hat es den Gewerkschaften in der Vergangenheit ermöglicht, Verschlechterungen qua Volksabstimmung zu verhindern. Die Heraufsetzung des Frauenrentenalters stellt dabei eine Ausnahme dar. Allein in diesem Jahr gelang es dem Gewerkschaftsbund, eine allgemeine Heraufsetzung des Rentenalters abzuwehren, eine Verschlechterung eines Teilbereichs der Rente zu blockieren und die dreizehnte Auszahlung eines anderen Rententeils zu erreichen.
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