Kein Politbüro
Von Bernd KantGrundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn die Verbände der Verfolgten des deutschen Faschismus und ihre gesellschaftlichen Aktivitäten in den Blick der Wissenschaft geraten. Das ist eine relativ neue Entwicklung – jahrzehntelang beschäftigten sich nur die Überlebenden selber und ihre politischen Nachfolger mit dem Thema. Kürzlich fand in Frankfurt am Main eine Tagung der Goethe-Universität und des Fritz-Bauer-Instituts statt, auf der über die VVN in den 1950er und 1960er Jahren gesprochen wurde – überwiegend aus der Sicht von nachgeborenen Akademikern. Der Historiker Maximilian Becker stellte dort seine Forschungsergebnisse zur FIAPP (Fédération Internationale des Anciens Prisonniers Politiques) von 1947 bis 1951 vor, die auch in seine in diesem Jahr erschienene umfassende Studie »Antifaschismus und Kalter Krieg. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer im Nachkriegseuropa« eingegangen sind.
In den vergangenen Jahren fanden mehrere internationale Tagungen statt, auf denen Historikerinnen und Historiker, oftmals Mitarbeitende aus Gedenkstätten, ausgehend von den Archivbeständen der Überlebendenverbände ihr Bild dieser Organisationen präsentierten. Zu nennen wäre etwa die Arbeit von Henning Fischer über »Überlebende als Akteurinnen« über die Frauen der Lagergemeinschaft Ravensbrück oder »Parteidisziplin und Eigenwilligkeit«, die Arbeit von Philipp Neumann-Thein über das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos. In diesen Studien geht es im Kern allerdings nicht um die Überlebenden als Zeitzeugen, sondern um die Entwicklung eines akademischen, für eine Promotion tauglichen Blicks auf diese Strukturen.
Ähnlich angelegt ist die Studie von Maximilian Becker über die Geschichte der FIR (Fédération Internationale des Résistants) vom Beginn des Kalten Krieges bis zum Anfang der 1990er Jahre. Sie ist das Ergebnis einer gut zehnjährigen Beschäftigung mit Material in mehr als einem Dutzend Archiven in verschiedenen Ländern. Knapp 500 Seiten, mehreren hundert Anmerkungen und hundert Seiten Anhang mit Kurzbiographien, Quellen und Literaturverzeichnis sowie Angaben zu Organisationsstrukturen sind das Resultat.
Eigentlich beschäftigt sich der Autor mit zwei Verbänden, nämlich der FIAPP von 1947 bis 1951 und der FIR von 1951 bis 1990. Bezogen auf die FIAPP liefert Becker tatsächlich die erste zusammenhängende Darstellung der Verbandsgeschichte. Irritierend ist allerdings der Ansatz, beide Organisation als Einheit zu betrachten – war doch das Ende der FIAPP Ausdruck nicht lösbarer politischer Konflikte im Kalten Krieg. Die Gründung der FIR war der Versuch, diese Konflikte zu überwinden.
Genau diese Konflikte nimmt Becker in den ersten Abschnitten in den Blick, wobei er sich vor allem auf die politischen Zerwürfnisse zwischen den Verbänden der Überlebenden aus den unterschiedlichen Ländern konzentriert – weniger auf die auch staatliche Einflussnahme von außen, die letztlich zu Abspaltungen bei Mitgliedsverbänden in verschiedenen Ländern geführt hat. Dabei konnte die erzwungene Auflösung des einheitlichen Verfolgtenverbands in Österreich oder die Abspaltung bürgerlicher Kräfte von der VVN in Westdeutschland nicht ohne Auswirkungen auf die Dachorganisation bleiben. Die FIAPP mit Sitz in Paris und Generalsekretariat in Warschau stand als Organisation quer zu den Trennungslinien des Kalten Krieges, und das war für antikommunistische Akteure im Westen nicht akzeptabel. Gleichzeitig wurde auch im Osten stark auf das Handeln der FIAPP eingewirkt, wie nach dem politischen Bruch zwischen der UdSSR und Jugoslawien. Diese Konflikte konnten innerhalb der FIAPP nicht gelöst werden. Ein neuer Dachverband musste geschaffen werden.
Zwar sah sich die FIR in der Tradition der FIAPP. Dennoch war die Gründung der FIR ein Neuanfang. Der Gründungskongress in Wien 1951, der »Internationale Friedenskongress der Widerstandsbewegung«, zeigte, dass die Einheit unter der Losung »Nie wieder Krieg!« möglich schien. Becker stellt dagegen grobmotorisch fest, damit sei die FIR eher eine »Propagandaagentur im Dienst des Ostblocks« gewesen. Nicht nur an dieser Stelle hat der sachkundige Leser den Eindruck, dass dem Autor im Grunde das Verständnis für die Überlebendenverbände und deren politisches Anliegen fehlt – obwohl er akribisch die vielfältigen Initiativen der FIR für Frieden in Kooperation mit anderen Verbänden auflistet.
Die FIR engagierte sich – wie der Autor nachzeichnet – mit Konferenzen, einer Zeitschriftenreihe und anderen Aktivitäten in der Geschichts- und Gedenkarbeit. Bezeichnenderweise bemängelt Becker, dass die FIR im Sinne eines »Lernens für die Zukunft« damit auch tagesaktuelle Fragen verband. Umfangreich werden politische Konflikte innerhalb der FIR dargestellt. Das ist mitunter durchaus aufschlussreich. Aber wie es dennoch gelang, in einer so heterogenen Organisation über Jahrzehnte den Zusammenhalt aufrechtzuerhalten, wird nicht nachvollziehbar. Defizitär bleibt durchweg auch Beckers Gewichtung der politischen Einflussnahmen von außen bei solchen Konflikten.
Die FIR nahm immer wieder Stellung zu gesellschaftspolitischen Entwicklungen, konnte aber die Probleme der Mitgliedsverbände in deren eigenen Ländern nicht lösen. Der Autor vermittelt dagegen den Eindruck, als seien die FIAPP und später die FIR quasi ein »Politbüro« der »antifaschistischen Internationale« gewesen, dem die Mitgliedsverbände hätten folgen müssen. Dem aber war und ist bis heute nicht so.
Maximilian Becker: Antifaschismus und Kalter Krieg. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer im Nachkriegseuropa. Wallstein, Göttingen 2024, 475 Seiten, 46 Euro
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