Zerstörung als Strategie
Von Volker HermsdorfDie letzte Wahl in Haiti hat 2016 stattgefunden und seit 2020 verfügt das Land über kein funktionierendes Parlament mehr. Da weder Regierungschef Alix Didier Fils-Aimé noch Staatsoberhaupt Leslie Voltaire, der temporäre Vorsitzende des Übergangspräsidialrats, demokratisch legitimiert sind, forderte das in dem Karibikstaat jedoch selbst heftig kritisierte Integrierte UN-Büro in Haiti (BINUH) die Akteure am selben Tag dazu auf, die Organisation von Wahlen zu beschleunigen, »um die Wiederherstellung des sozialen Friedens voranzutreiben«.
Voltaire kündigte mittlerweile an, dass der Wahlprozess im März kommenden Jahres beginnen und die Wahlen im November stattfinden könnten. Sollte ein zweiter Wahlgang notwendig sein, werde dieser im Januar 2026 stattfinden, so dass der neue Präsident am 7. Februar vereidigt werden könne. Garantieren soll diese Abläufe ein neunköpfiger Provisorischer Wahlrat, der mit der Vereidigung von zwei neuen Mitgliedern seit dem 13. Dezember zum ersten Mal vollständig besetzt und einsatzfähig ist. Deren Auswahlprozess sei jedoch »chaotisch« verlaufen und die Ernennungen von Protesten und Kritik überschattet gewesen, »die die Legitimität der Zusammensetzung des Rates in Frage stellen«, berichtete die in New York herausgegebene Onlinezeitung Haitian Times.
Die Organisation von Wahlen »im Kontext einer multidimensionalen Krise« wirkten mehr wie »der Versuch, ein kaputtes System zu legitimieren, als wie ein wirklicher Wille zur Veränderung«, prangert auch der Musiker, Autor und Aktivist Kervens Louissaint an. »Haiti ist heute ein Schlachtfeld, nicht nur wegen der Banden, sondern auch, weil der Staat absichtlich geschwächt wurde. Diese Zerstörung ist kein Zufall; sie ist Strategie. Politiker, die den Staat vereinnahmen, haben mit Unterstützung internationaler Verbündeter das Land in einen unregierbaren Raum verwandelt«, schrieb er in einem, von der linken Wochenzeitung Haïti Liberté veröffentlichten offenen Brief an Premierminister Alix Didier Fils-Aimé. Das Land sei seit Jahrzehnten »gefangen in einer organisierten Anarchie, einem kontrollierten Chaos und einer gut orchestrierten Unordnung«.
»Der Weg zu den Wahlen ist voller Hindernisse«, dämpfte auch die Gazette Haïti etwaige Erwartungen. Dazu gehörten in erster Linie das Problem der Gewalt bewaffneter Gangs sowie der Umgang mit einem Korruptionsskandal um die Nationale Kreditbank, in den drei Berater des Übergangsrats verwickelt sind. Um erfolgreich zu sein, müsse der Wahlprozess aber vor allem eine souveräne Angelegenheit bleiben, kommentiert die Onlinezeitung. »Frühere Fehlschläge waren oft geprägt von Eingriffen verschiedener nationaler und internationaler Akteure.« Nach acht Jahren ohne Wahlen gehe es darum, »dem haitianischen Volk das Recht zurückzugeben, seine Führungskräfte gemäß den Bestimmungen der Verfassung selbst zu wählen«.
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