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Aus: Ausgabe vom 04.01.2025, Seite 1 / Titel
Krieg in Syrien

Die ausgestreckte Hand

Syrien: Außenministerin Baerbock bei Regent Al-Scharaa in Damaskus. US-Armee errichtet Militärbasis in Kobani
Von Nick Brauns
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»Feministische Außenpolitik« in der Praxis: Antrittsbesuch von Baerbock beim Dschihadistenführer Al-Scharaa

Bis vor zwei Wochen war ein Kopfgeld der US-Regierung in Höhe von zehn Millionen Dollar auf den früheren Anführer der syrischen Al-Qaida Mohammed Al-Dscholani ausgesetzt. Am Freitag empfing Syriens neuer starker Mann, der sich nun mit Krawatte und gestutztem Bart wieder bürgerlich Ahmed Al-Scharaa nennt, den bislang höchsten westlichen Besuch seit dem Sturz von Präsident Baschar Al-Assad vor einem Monat im Präsidentenpalast von Damaskus. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und ihr französischer Amtskollegen Jean-Noël Barrot waren »im Namen der EU« angereist, wie die Grünen-Politikerin angab. Die Reise sei ein Signal, dass ein »politischer Neuanfang zwischen Europa und Syrien, zwischen Deutschland und Syrien« möglich sei.

Baerbock, der Al-Scharaa einen Handschlag bei der Begrüßung demonstrativ verweigert hatte, versicherte, Deutschland wolle Syrien »bei einem inklusiven friedlichen Machtübergang, bei der Versöhnung der Gesellschaft, beim Wiederaufbau« helfen. Dazu gehöre die Gleichberechtigung der Frauen und der ethnischen und religiösen Gruppen. Dies dürfte kaum mehr als eine Floskel sein, hatte die selbsternannte Vertreterin einer »feministischen Außenpolitik« doch erst kürzlich in Ankara die Entwaffnung der von islamistischen Söldnern der Türkei attackierten syrischen Kurden einschließlich ihrer Frauenverteidigungseinheiten YPJ gefordert.

Während Kämpfer der Dschihadistenallianz HTS weiter Jagd auf Angehörige der alawitischen Religionsgemeinschaft als vermeintliche Assad-Loyalisten machen, haben drusische Selbstschutzmilizen einen Einmarsch der HTS in die südliche Provinz Suweida verhindert. Die Drusen fordern ebenso wie die Kurden einen föderalen Staatsaufbau in Syrien. Al-Scharaa lehnt das ab. Wie er ankündigte, soll eine neue Verfassung erst in drei Jahren vorliegen, Wahlen gar erst in vier Jahren abgehalten werden.

Dafür arbeitet seine »Übergangsregierung« eifrig daran, den bislang säkularen Lehrplan für Schüler zwischen sechs und 18 Jahren im Sinne eines salafistischen Islams zu überarbeiten. Nicht nur Huldigungen der gestürzten Assad-Familie sollen gestrichen werden, sondern auch die Evolutionstheorie, Berichte von Greueltaten der Osmanen sowie Verweise auf historische Frauenfiguren wie die im dritten Jahrhundert in Palmyra herrschende Königin Zenobia. Juden und Christen werden in dem auf der Facebook-Seite des Bildungsministeriums veröffentlichten neuen Curriculum als »diejenigen, die Gott erzürnen«, diffamiert. Nach einem Aufschrei auf sozialen Medien mit dem Vorwurf, religiöse Spannungen zu schüren, kündigte Bildungsminister Nazir Mohammad Al-Kadri laut The Times vom Freitag an, die Änderungen einem »Fachausschuss« zur Prüfung vorzulegen.

Im Norden Syriens wehrten die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDK) derweil einen Donnerstag früh begonnenen Großangriff der von der türkischen Armee unterstützten Söldnertruppe »Syrische Nationalarmee« (SNA) auf den Tischrin-Staudamm ab. Die mit den SDK kooperierende US-Armee errichtet in der Stadt Kobani derzeit eine größere Militärbasis: ein Stoppsignal an Ankara, dessen Truppen die kurdische Stadt mit einem Einmarsch bedrohen. Die türkische Bedrohung dient Washington so als Legitimation, seine zuletzt auf 2.000 Soldaten mehr als verdoppelte Truppenpräsenz im Land auszubauen – die zwei NATO-Partner spielen Pingpong, um sich Einfluss in Syrien zu sichern.

Hinweis: In einer ersten Fassung des Beitrags hieß es, das auf Al-Dscholani ausgesetzte Kopfgeld habe 10.000 Dollar betragen. Es waren aber zehnmillionen Dollar. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. (jW)

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