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Aus: Ausgabe vom 04.01.2025, Seite 7 / Ausland
Jahresrückblick Indien

Modis schreckliche Zeit

Jahresrückblick 2024. Heute: Indien. Die Herrschaft der Hindunationalisten hat ihren Zenit überschritten
Von Jörg Tiedjen
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»Wir sind alle Modi«: Für den erhofften Erdrutschsieg hat es bei den Wahlen jedoch nicht gereicht (Meerut, 31.3.2024)

Internationale Medien sind sich einig: 2024 war für Indiens Premierminister Narendra Modi und seine Indische Volkspartei (BJP) ein »Annus horribilis«, ein »schreckliches Jahr«. Nicht nur wurde das gesteckte Ziel nicht erreicht und bei den Parlamentswahlen im Frühjahr ein Durchmarsch von 400 Mandaten so klar verfehlt, wie es nicht einmal die Opposition um die Kongresspartei (INC) vorausgesehen hatte. Gewinne bei Regionalwahlen wie zuletzt in Maharashtra oder ein überraschender Ausgleich mit China in der Grenzfrage können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Hindunationalisten erstmals seit langem in die Defensive geraten sind. Das macht sie allerdings nicht ungefährlicher.

Wie ein Symbol für ihren Niedergang steht das Abschneiden der BJP in dem Wahlbezirk, zu dem Ayodhya gehört, jene Stadt im Bundesstaat Uttar Pradesh, auf die der Kulturkampf der Ultrarechten lange zentriert war. Hier hatten die Granden der Hindunationalisten 1992 höchstpersönlich marodierende Fanatiker kommandiert, die die Babri-Moschee niederrissen, weil sich unter ihr einmal ein bedeutender Ram-Tempel befunden haben soll. Mittlerweile ist der Neubau eines Ram-Heiligtums vollendet. Doch ausgerechnet Ayodhya wird nun in Delhi von der sozialistischen Samajwadi-Partei repräsentiert.

Opposition im Aufwind

Es ist also nichts aus der verfassungsändernden Mehrheit geworden, von der die BJP träumte. Sie muss weiter mit den Parteien der Nationalen Demokratischen Allianz regieren. Das oppositionelle INDIA-Bündnis um den INC sieht sich dagegen im Aufwind. Dabei hatte die BJP vor keinen unlauteren Mitteln zurückgeschreckt, dies zu verhindern. Der INC-Vorsitzende Rahul Gandhi wurde verklagt, Arvind Kejriwal, Chef der Aam-Aadmi-Partei (AAP) und Chiefminister der Hauptstadtregion Delhi, gar unter windigen Umständen verhaftet.

Auch die Hetze gegen Minderheiten wurde verstärkt. Der von der BJP angezettelte Konflikt in Manipur ist bis heute nicht beendet – ganz zu schweigen vom Kriegszustand in Kaschmir, wo die Modi-Regierung bei Regionalwahlen eine Niederlage einfuhr. Ende des Jahres wurden zudem neue Fälle bekannt, in denen Hindunationalisten gegen historische Moscheegebäude juristisch vorgehen, weil sie angeblich auf hinduistischen Fundamenten stehen. Die Babri-Moschee soll nicht die letzte gewesen sein, die vom Erdboden getilgt wird.

Doch der hindunationalistische Furor scheint immer weniger Rückhalt zu finden, wie der unerwartet knappe Sieg der BJP bei den Parlamentswahlen zeigt. Die Schriftstellerin Arundhati Roy, der 2024 erneut ein Prozess wegen einer Stellungnahme von 2010 zum Kaschmirkonflikt angedroht wurde, sagte dazu in einem Interview, dass die Menschen anscheinend einzusehen begännen, dass die »Hindunation« eine Versprechung sei, die einzig den privilegierten Kasten nütze.

So stehen Indiens Kapitalisten denn auch nach wie vor treu zu Modi. Im Vorfeld der Wahlen hatte das Oberste Gericht des Landes eine Form der Parteienfinanzierung untersagt, die von der BJP entgegen allen Einwänden durchgeboxt worden war: die sogenannten Electoral Bonds. Sie ermöglichten es, an aller öffentlichen Kontrolle vorbei Parteien anonym Geld zukommen zu lassen, was aber, wie der Supreme Court bestätigte, gegen die Verfassung verstößt.

Auch die Namen der Spender und Empfänger der jeweiligen Geldbeträge wurden veröffentlicht. Erwartungsgemäß hatte die BJP am meisten von den Bonds profitiert. Manche Zuwendungen lassen Bestechung erahnen, indem bestimmte Firmen sie in Zusammenhang mit drohenden Gerichtsverfahren entrichteten. Unter ihnen war auch eine Filiale von Reliance, einem Konzern, der seit jeher eng mit Premier Modi verbunden ist, aber jede Verbindung zu der Tochterfirma abstreitet.

Superreiche im Zwielicht

Indiens Oligarchen standen 2024 mehrfach in den Schlagzeilen. Im Juli frohlockte die Regenbogenpresse über die Heirat von Anant Ambani mit Radhika Merchant. Die Feier soll bis zu einer Milliarde US-Dollar verschlungen haben. Ambani ist der Sohn von Reliance-Chef Mukesh Ambani. Der kann sich einen solchen Aufwand leisten, wie sich auch im Dezember zeigte, als er einen Deal mit Russlands Rosneft abschließen durfte, der über zehn Jahre Öl für zwölf bis 13 Milliarden US-Dollar jährlich ins Land bringen soll.

Dort dürfte aber nur ein Teil des Brennstoffs verbleiben. Schließlich profitiert Indien als Zwischenhändler vom Embargo gegen Russland, was der Westen Neu-Delhi natürlich übelnimmt. So verwundert es nicht, dass US-Behörden im Herbst einen weiteren indischen Industriekapitän mit Korruptionsvorwürfen ins Visier nahmen: Gautam Adani, der ebenfalls im Energiesektor tätig ist sowie Häfen und Flughäfen betreibt und in den USA bei einer Auftragsvergabe Schmiergeld eingesetzt haben soll.

Nicht nur der Bestechungsskandal und der Exhibitionismus seiner Superreichen rückten Indien 2024 ins Zwielicht. Im August floh Bangladeschs durch einen Aufstand gestürzte Premierministerin Scheich Hasina in das Nachbarland. Dort witterte man in Dhaka »Farbenrevolutionäre« am Werk und gewährte der Verbündeten trotz eines Auslieferungsantrags wegen Menschenrechtsverbrechen Asyl. Ironischerweise hatte sich der Protest gegen Hasina an einer Regelung entzündet, wie sie die BJP abschaffen will: Quotierungen für Staatsämter, mit denen in Indien Minderheiten gefördert werden sollen.

Das waren nicht die einzigen außenpolitischen »Rückschläge« für Modi. Im Vorfeld des Gipfels der BRICS-Staaten, der im Oktober im russischen Kasan stattfand, bezichtigten US-Fahnder Innenminister Amit Shah, in die Ermordung eines Sikh-Aktivisten in Kanada involviert gewesen zu sein. Indien als Schurkenstaat zu labeln – das war ungewohnt. Schließlich war es zuvor westlicherseits als Gegengewicht zu China hofiert worden. Mit dem Beitritt zur Quad-Gruppe, einem gegen Beijing gerichteten Militärbündnis, dem ferner Japan, Australien und die USA angehören, hatte Neu-Delhi sogar die Möglichkeit aufscheinen lassen, dass es sich einer »pazifischen NATO« anschließen könnte.

Allerdings will Indien offensichtlich auf seine guten Beziehungen zu Russland nicht verzichten, und auch die Spannungen mit China wurden übertrieben oder zumindest falsch gedeutet. Das stellte sich heraus, als Neu-Delhi und Beijing im Rahmen der BRICS-Tagung ankündigten, ihre Grenzkonflikte beilegen zu wollen. Nicht zuletzt dürfte Modi nicht vergessen haben, dass er wegen seiner Rolle bei antimuslimischen Pogromen in Gujarat 2002 lange auf der roten Liste der in den USA unerwünschten Personen gestanden hatte. So warf er auch den INDIA-Parteien im Herbst vor, von ausländischen NGOs wie der Soros-Stiftung gesponsert zu sein und eine »Farbenrevolution« nun auch in Indien vorzubereiten.

Die Bauern, die seit Jahren riesige Proteste organisieren und auch im Herbst wieder Richtung Delhi marschierten, brauchen aber keinen George Soros als Stichwortgeber. Sie haben handfeste soziale Gründe, gegen die BJP zu rebellieren, die sie in Armut stürzt. Auch die Demonstranten, die im ganzen Land ihre Empörung kundtaten über die Vergewaltigung und Ermordung einer angehenden Ärztin in einer Klinik in Kalkutta im August, folgten keinen fremden Anweisungen. Die BJP selbst nutzte die Gelegenheit, auf die Straßen zu gehen. Schließlich wird die westbengalische Metropole vom oppositionellen Trinamool-Kongress regiert.

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