Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Freitag, 10. Januar 2025, Nr. 8
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 09.01.2025, Seite 2 / Inland
JVA Tegel

»Innerhalb der Mauern herrschen eigene Gesetze«

Berlin: Zahlreiche Missstände in JVA Tegel. Gefangener schickt Beschwerde an Justizsenatorin. Ein Gespräch mit Andreas Krebs
Interview: Katharina Schoenes
imago150738865.jpg
Die JVA Tegel in Berlin ist für schlechte Haftbedingungen bekannt

Im Dezember haben Sie als Vertrauensperson der Gefangenen der Teilanstalt II in der JVA Tegel in Berlin ein Schreiben an die Justizsenatorin gesendet, um auf Missstände in der JVA aufmerksam zu machen. Um welche Missstände geht es?

Es sind unterschiedliche Dinge, zuerst aber die mangelhafte medizinische Versorgung. Ich kann davon aus eigener Erfahrung berichten, höre das aber auch ständig von Mitgefangenen. Und sogar die Stationsbeamten beklagen das. Ich sehe selbstverständlich, dass die Ärzte hier überfordert sind. Aber die Leute einfach abzuspeisen, mit gravierenden Problematiken, das geht gar nicht.

Wie äußert sich das konkret?

Ein Gefangener, dem es nicht gut geht, muss von sich aus einen Antrag stellen, mit der Bitte um eine Krankmeldung. Die wirft er am frühen Morgen in den Postkasten der Arztgeschäftsstelle. Das kann dieser Gefangene über Monate hinweg machen. Kein Sanitäter oder Arzthelfer wird in dieser Sache hellhörig, niemand. So war es zum Beispiel in meinem Fall. Drei Monate habe ich jeden Tag einen Antrag durch Bedienstete, durch Mitgefangene abgeben lassen, weil ich nicht laufen konnte. Und kein einziges Mal wurde ich von einem Arzt geholt. Erst als mein Anwalt mit einer Strafanzeige gedroht hat, wurden sie tätig. Das geht nicht! Wenn sich jemand einige Tage krankmeldet, weil er eine kurze Auszeit braucht, ist das in Ordnung. Aber über einen längeren Zeitraum hinweg muss irgend jemand der Sache nachgehen.

Welche anderen Probleme gibt es?

Während des Hofgangs kann man nicht auf Toilette gehen. Mangelnde Sportmöglichkeiten sind ein weiteres Thema, die Gefangenen können nur Ausdauerübungen ausführen, Kraftsport überhaupt nicht. Dann das Essen – das Essen ist wirklich unter aller Kanone. Oft sind die Soßen nicht richtig durchgekocht, und viele Gefangene nehmen sich nur die Kartoffeln oder Nudeln, um sich damit selbst etwas zuzubereiten. Ich habe auch beobachtet, dass gewisse Beamte das Essen vorgekostet haben und den Kopf darüber schütteln. Hinzu kommen die Drogen. Die Leute fallen reihenweise um oder drehen durch. Mir wurde von den Bediensteten mal hinter vorgehaltener Hand gesagt, das sei so gewollt, denn dann herrsche Ruhe. Moderner, liberaler Strafvollzug sieht für mich anders aus.

Über Missstände in der JVA Tegel wurde schon häufig berichtet. Immer wieder geht es um veraltete Sanitäranlagen, enge Zellen, Gewalt zwischen Gefangenen und Drogen. Haben die Probleme sich noch zugespitzt oder ist es ein Dauerzustand?

Es ist eindeutig ein miserabler Dauerzustand. Wir haben uns mit einigen Gefangenen zusammengesetzt und gesagt, diese Punkte schildern wir einmal. Ob wir dadurch etwas bewirken, wissen wir nicht. Wir versuchen es auf vielen Wegen, wir suchen etwa das Gespräch mit Stationsbeamten. Aber die normalen Stationsbeamten können uns nicht helfen, sie sind der Situation genauso hilflos ausgeliefert. Und die Anstaltsleitung ignoriert die Probleme.

Rechnen Sie mit Schikanen, weil Sie Probleme in der JVA öffentlich gemacht haben?

Definitiv. Aber ganz ehrlich: Es ist mir egal. Ich nehme das gerne in Kauf, denn es geht um unsere Rechte. Und dann höre ich, Berlin sei ein liberales Bundesland. Wo soll es hier liberal zugehen?

Wie sind die Verhältnisse in der JVA Tegel im Vergleich zu anderen Haftanstalten?

Ich habe viele Haftanstalten in anderen Bundesländern erlebt – das ist kein Vergleich mit hier. Man darf nicht vergessen: eingesperrt ist eingesperrt. Aber in Tegel sind die Probleme weitaus gravierender als in anderen Bundesländern, auch in Sachen Korruption.

Gab es bereits eine Reaktion der Justizsenatorin?

Nein, es gab keine Reaktion. Wer uns unterstützen will, sollte Druck auf den Senat ausüben, denn dort werden die Entscheidungen getroffen. Und es ist wichtig, das System zu hinterfragen. Die Bevölkerung draußen nimmt an, die Gefangenen sind hinter Schloss und Riegel, die Allgemeinheit ist davor geschützt, alles ist schön und gut. Aber innerhalb der Mauern herrschen eigene Gesetze.

Andreas Krebs ist Gefangener in der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

Ähnliche:

  • Ein Rest altehrwürdiger Sozialdemokratie: Gefangene spielen Grab...
    18.12.2024

    Chialo in den Knast

    Warum das Berliner Gefangenentheater »aufBruch« vielleicht bald zusperren muss
  • Fünf Tote und viele Verletzte bei Bränden in Berliner Haftanstal...
    16.08.2024

    Inferno hinter Gittern

    Berlin: Mehr als hundert Zellenbrände in Haftanstalten. Brandschutz kaum vorhanden – dafür Kameras für Knastparkplätze

Regio:

Mehr aus: Inland

Die 30. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz – am 11. Januar ab 10 Uhr live hier im Stream