Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Donnerstag, 9. Januar 2025, Nr. 7
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 09.01.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Südkorea

Staatschef hinter Stacheldraht

Südkorea: Haftbefehl gegen Präsident Yoon verlängert. Personenschützer, Demonstranten und Interimspräsident verhindern Festnahme
Von Martin Weiser, Seoul
3.JPG
Es sind nicht nur Yoon-Anhänger, die protestieren (Seoul, 5.1.2025)

Am offiziellen Wohnsitz von Präsident Yoon Suk Yeol in Seoul spielt sich derzeit ein Spektakel ab: Das Gebäude ist gleich einer Festung mit Stacheldraht und einer Barriere aus Bussen abgeriegelt. Hunderte Personenschützer des Präsidialen Sicherheitsdienstes umringen es zudem und verhindern seit einer Woche die Verhaftung des verschanzten Präsidenten. Aufgrund seiner Weigerung, zu Verhörterminen zu erscheinen, hatte ein Gericht der Sonderstaatsantwaltschaft für Korruption in der vergangenen Woche einen Haftbefehl gegen Yoon ausgestellt. Dutzende Beamte versuchten am Freitag, zu ihm vorzudringen – vergeblich.

Obwohl der Präsident eigentlich keinerlei Befugnisse mehr haben sollte, solange das Amtsenthebungsverfahren läuft, ist ihm der Personenschutz weiter ergeben. Daran ändert auch die Drohung der Polizei nichts, jeden Personenschützer einzeln festzunehmen. Interimspräsident Choi Sang Mok, der eigentlich auch den Personenschutz zurückpfeifen könnte, denkt natürlich nicht daran, zu intervenieren. Statt dessen rief Choi am Mittwoch alle Seiten zu Gewaltfreiheit auf. Das Spektakel der Menschenketten aus Personenschützern wird sich also wahrscheinlich wiederholen. Auch vierzig Abgeordnete der Regierungspartei People Power Party (PPP) hatten sich am Montag morgen an der Zufahrt zu Yoons Heim versammelt, um etwaige Zugriffsversuche zu erschweren.

Rückendeckung erhält Yoon zusätzlich von Hunderten fundamentalistischen Zivilisten, die seit Tagen vor seinem Wohnsitz für eine Wiedereinsetzung und eine Verhaftung des Oppositionsführers Lee Jae Myeong demonstrieren. Teils bilden sie ebenfalls menschliche Barrieren, in der Hoffnung, so den Präsidenten abzuschirmen. Viele folgen dem rechtsradikalen evangelikalen Pastor Jeon Kwang Hoon, der bereits seit Jahren regelmäßig bei den Demonstrationen der sogenannten »Flaggenbrigaden« auftritt. Der Begriff bezieht sich eigentlich auf die südkoreanische Flagge, viele schwenken jedoch auch die der USA als angeblichem Garanten von Freiheit und Wohlstand. Auch am Mittwoch versammelten sich trotz Minusgraden wieder Protestierende vor der Residenz. Manche von ihnen trugen Bänder mit dem an den des gewählten US-Präsidenten Donald Trump angelehnten Slogan »Make Korea Great Again«.

Bei einem Auftritt vor den Demonstranten beschrieb sich Jeon selbst als Kommandant der »Volksrevolution«. Nach dieser Selbstbeweihräucherung verstieg er sich zu der wahnhaften These, ohne die Erklärung des Kriegsrechts am 3. Dezember wäre der Staat bereits komplett an Nordkorea gefallen. Außerdem wiederholte er rechte Verschwörungserzählungen, die seit Jahren im Netz zirkulieren: Die Wahlergebnisse seien alle von der Demokratischen Volksrepublik Korea gefälscht worden. Auch die südkoreanischen Medien würden vom Norden kontrolliert. Nur bei den Parlamentsabgeordneten machte er aus unerfindlichen Gründen Abstriche und verleumdete nur die Hälfte von ihnen als Maulwürfe, obwohl die Opposition doch fast zwei Drittel stellt.

Die Sonderstaatsanwaltschaft hat den Plan, Yoon zu verhaften, noch nicht aufgegeben. Nach Auslaufen des Haftbefehls stellte das Gericht am Montag eine neue Anordnung aus. Wie lange diese gilt, ist unklar. Einige spekulieren, ob Yoon nicht am Freitag getürmt sei und sich an einem anderen Ort versteckt halte. Doch einer seiner Anwälte beteuerte, ihn noch am Mittwoch in seinem Haus gesehen zu haben. Während sich die Strafverfolgungsbehörden über das weitere Vorgehen bedeckt halten, spielen Medien verschiedene Möglichkeiten durch. Man könne den Wohnsitz belagern, über Tage einen Personenschützer nach dem anderen überwältigen oder mit einer Übermacht das Gelände überrennen. Andere würden es wahrscheinlich lieber sehen, wenn eine Antiterroreinheit per Helikopter im Vorgarten landet, die Scheiben einschlägt und Yoon gefesselt abführt. Bis auf letzteres durften das ja bereits die Abgeordneten am 3. Dezember mitmachen, als der Präsident das Parlament mit Soldaten stürmen ließ.

Dass Yoon jetzt nur noch bei einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung Rückhalt hat, zeigt sich auch in den Leitartikeln der drei großen südkoreanischen Zeitungen, die weit rechts der Mitte Stimmung machen. Seit Tagen schreiben Chosun Ilbo, Donga Ilbo und Joongang Ilbo in stoischer Regelmäßigkeit, wie absurd es doch sei, dass sich ein ehemaliger Oberster Staatsanwalt so gegen Grundsätze des Rechtssystems verwehrt. Nicht nur deswegen verwundern Umfrageergebnisse, die am Montag von Asia Today veröffentlicht und ohne eine kritische Betrachtung von südkoreanischen Medienhäusern weiterverbreitet wurden. Laut der Umfrage habe Yoon mit 40 Prozent weit mehr Unterstützung in der Bevölkerung als noch während der meisten Zeit im Amt. Die Rechten hoffen schon, deshalb sei nun alles ausgestanden. Doch ein genauer Blick auf die Umfrage legt nahe, dass nach mehreren absurden Fragen zu angeblichem Wahlbetrug und einem illegalen Haftbefehl gegen Yoon viele Leute einfach wieder aufgelegt haben und dadurch nicht mitgezählt wurden. Die Zeitung Hankyoreh wies auch darauf hin, dass Asia Today immer wieder über angeblichen Wahlbetrug bei den Parlamentswahlen berichtet hat.

Bis zum Haftbefehl haben Yoons Anwälte erklärt, das Vorgehen der Sonderstaatsanwaltschaft gegen den Präsidenten sei komplett illegal. Diese dürfe laut Gesetz nicht im Fall eines Putschversuchs ermitteln, sondern nur bei einigen anderen Verbrechen, wie Korruption oder Amtsmissbrauch. Doch mit dem Haftbefehl ließen sie sich zusätzliche Verzögerungstaktiken einfallen: Das Verfassungsgericht solle den Haftbefehl erst einmal prüfen – was wiederum Tage oder Wochen in Anspruch nehmen wird – und sowieso sei er vom falschen Gericht ausgestellt worden. Das Gericht von Zentral-Seoul sei zuständig, nicht das Gericht West-Seouls, das ihn abgesegnet hat. Warum das nur Yoon und seinen Anwälten aufgefallen ist, erklärten sie natürlich nicht.

Hintergrund: Bilderverbot

Wer sich bei südkoreanischen Anbietern von Straßenkarten einmal Seoul von oben ansieht, wird sich wahrscheinlich über einen mysteriösen Wald im Herzen der Stadt wundern. Anscheinend vollkommen unerschlossen überwächst er zwischen Kriegs- und Nationalmuseum Straßen und Häuser. Bankfilialen, Cafés, gar Kirchen fielen ihm schon zum Opfer. Aber die Bäume dienen nur als als digitale Camouflage für das, was der Staat für militärisch sensibel erklärt hat. Jeder kann dank ausländischer Anbieter diesen stümperhaften Versuch der Geheimniskrämerei aushebeln.

Doch in Südkorea besteht man darauf, zu verbergen, wie etwa die Gebäude des Nachrichtendienstes, diverse US- Militärbasen oder in diesem Fall der Amtssitz von Präsident Yoon und der dahinterliegende Park aussehen. Wie auch bei der Internetzensur besteht man stur auf Prinzipien und nicht auf einer rationalen Herangehensweise.

Dieses Bilderverbot gilt ebenso für Yoon Suk Yeols offiziellen Wohnsitz, in dem er sich vermutlich seit Tagen versteckt hält. Mehrere Medienhäuser wollten am Freitag dennoch mit Bild- und Videomaterial festhalten, wie die Sonderstaatsanwaltschaft den ersten Haftbefehl gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt vollstreckt und kassierten dafür eine Anzeige des Präsidentenamtes. MBC filmte sogar aus der Luft – wohlgemerkt aus einem legalen Bereich – und veröffentlichte dann noch Seitenaufnahmen des Wohngebäudes. Ein südkoreanischer Youtuber hatte sich sogar die Mühe gemacht, mit zusätzlichem Gerät das Gelände direkt vor dem Wohnhaus zu filmen, während die Staatsanwälte noch an einer Blockade in der Zufahrt warteten. Dadurch wurde publik, dass nach Ankunft der Staatsanwälte zwei Luxusautos schleunigst vom Hof fuhren – was die Spekulationen über eine Flucht des Präsidenten befeuerte. (mw)

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

Mehr aus: Schwerpunkt