Der Feind ist rot
Von Gerrit HoekmanDie Veröffentlichung einer Liste mit 425.000 Personen, die der Kollaboration mit den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg verdächtigt wurden, hat in den Niederlanden viel Staub aufgewirbelt. Dabei ging fast völlig unter, dass das niederländische Nationalarchiv auch brisante Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, die belegen, dass die Behörden gleich nach der Befreiung vor allem einheimische Kommunisten ins Visier nahmen.
»Der Frieden nach dem ›heißen Krieg‹ gegen den Faschismus ging nahtlos in den Kalten Krieg gegen den Kommunismus über«, stellt das Archiv auf seiner Internetseite fest. »Der neue Feind im Osten veränderte zum Beispiel die Sicht auf die Mitglieder des kommunistischen Widerstands (…).« Die Dokumente würden aber auch zeigen, dass der niederländische Inlandsgeheimdienst BVD gewisse Sympathien für Niederländer hegte, die in der SS an der Ostfront gegen die Rote Armee gekämpft hatten.
Die im Februar 1943 im Untergrund entstandene, christlich orientierte Trouw ist bis jetzt anscheinend die einzige große Zeitung in den Niederlanden, die es wert fand, die Dokumente zu sichten. »Kurz nach der Befreiung änderte sich das Bedrohungsbild in den Niederlanden. Nicht der Nationalsozialismus, sondern der Kommunismus ist in den Augen der Nachkriegsbehörden die größte Gefahr«, stellte Trouw vergangenen Donnerstag fest. »Der Geheimdienst konzentrierte sich unter anderem auf die Bekämpfung des politischen Extremismus. In der Praxis lief es schnell darauf hinaus, Kommunisten aufzuspüren.«
So habe ein Wahlplakat der Kommunistischen Partei der Niederlande (CPN) im Fenster oder ein Abonnement der kommunistischen Zeitung De Waarheid ausgereicht, um auf dem Radar des Dienstes zu landen. Der Geheimdienst verlangte zudem von den örtlichen Polizeistationen die persönlichen Daten von Journalisten des Parteiorgans De Waarheid. Die auch als »niederländische Prawda« bezeichnete Zeitung hatte am 23. November 1940 klandestin ihre erste Auflage mit 6.000 Exemplaren gedruckt. Sie wurde bis zur Befreiung eine wichtige Informationsquelle. Dutzende Mitarbeitende bezahlten ihren Mut, für De Waarheid zu schreiben, mit dem Leben. Wer den Nazis in die Hände fiel, wurde in der Regel ermordet.
Die Meriten, die sich die Genossen im »Verzet«, dem niederländischen Widerstand, verdient hatten, waren nach dem Krieg in den Behörden anscheinend schnell vergessen. Schon im Dezember 1945 warnte ein in Tilburg stationierter Soldat den Geheimdienst vor der »wachsenden kommunistischen Mentalität« unter seinen Kameraden. In seiner Kaserne würde ein Bild von Stalin hängen, und kein einziger Offizier habe befohlen, es zu entfernen. Und als Königin Wilhelmina nach ihrer Rückkehr aus dem britischen Exil in Den Haag eine Ehrenwache abnahm, habe er deutlich den Satz »Da kommt die Schlampe« gehört, petzte der Soldat.
Der Geheimdienst war sehr besorgt darüber, dass Wachleute, die in den Internierungslagern auf inhaftierte Nazikollaborateure aufpassten, unter den Insassen angeblich kommunistische Propaganda betrieben. Der Geheimdienst erhielt von seinen Informanten Dutzende Namen von Wächtern, die vermutlich mit der Sowjetunion sympathisierten. Sie würden Ausschnitte aus der Waarheid an die Gefangenen verteilen. In einem Lager strengte der Geheimdienst Ende 1947 Ermittlungen an wegen »hartnäckiger Gerüchte über eine kommunistische Infiltration«. Aus den Kreisen der Insassen sei zu hören, dass ein kommunistischer Putsch drohe. 600 Bewaffnete stünden Gewehr bei Fuß.
Bereits 1946 hatte ein inhaftiertes Mitglied der niederländischen Nationalsozialisten den Behörden weismachen wollen, er sei von Kommunisten gebeten worden, bei der Gründung einer niederländischen Filiale der sowjetischen Geheimpolizei GPU mitzuhelfen. In den Lagern seien nur noch »verstockte Nazis« inhaftiert, die mit der deutschen SS an der Ostfront gegen die Rote Armee gekämpft hätten, beruhigte ein anderer Informant den Geheimdienst. Die seien gegen linke Ideen völlig immun.
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