Sternsinger
Von Jürgen RothAm frühen Nachmittag klingelte es. Ich eilte hinunter und öffnete.
Vor der Tür standen drei verkleidete Kinder und eine junge Frau, die mittlerweile von Gesetzes wegen vorgeschriebene Begleiterin, wie mir meine Mutter hinterher erklärte.
Ich raffte nichts.
Sie seien Sternsinger, sagten sie beinahe schmerzlich zurückhaltend, ja scheu. Ich Granatentrottel begriff es immer noch nicht und entgegnete, meine Mutter sei alt und nicht mehr mobil, und vielleicht mache sie gerade einen Mittagsschlaf, das störe jetzt.
Eine furchtbare Enttäuschung zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab, und sie gingen.
Ich schaute nach meiner Mutter, und sie war ungehalten. »Warum hast du sie nicht reingelassen? Das waren die Sternsinger!« Sie war richtig sauer auf mich, ganz und gar zu Recht.
Ich flitzte zum Fenster, riss es auf und sah die vier guten Geister die Straße hinuntertrotten.
»Moment!« rief ich ihnen hinterher. »Kommt bitte zurück! Es geht doch!«
Sie drehten sich um und strahlten.
Ich geleitete sie ins Wohnzimmer. Sie waren ungemein artig, höflich, zum Umarmen liebreizend.
Sie waren von der Gemeinde St. Franziskus ausgesandt worden, die drei Sterndeuter Caspar, Melchior und Balthasar, zwei Mädchen und ein Bub.
Der katholische Brauch des gesanglichen Vortrags der Heiligen Drei Könige, der aus dem 16. Jahrhundert stammt, ist heute ein ökumenischer. Seit wenigen Jahren gilt es als verpönt, eines der Kinder schwarz zu schminken, obwohl es dem Kontinent Afrika die Ehre erweist, weil diese verfluchten, miesen, grundschullehrerhaften Rassismusschnüffler eine Angelegenheit namens »Blackfacing« entdeckt hatten.
Sie standen bei meiner Mutter und sangen zum Herzzerreißen. Ich holte währenddessen Geld, steckte die Spende für Kinder in Not dann in ihre Sammeldose und schenkte ihnen drei Tafeln Schokolade, allerdings zwei verschiedene Sorten.
»Wir teilen alles gerecht auf«, sagte der Bub leise und fragte, ob er noch den Segen anbringen solle.
Er applizierte ihn sorgsam an der Flurtür. Ich entschuldigte mich, auch bei der höchst dezenten Begleiterin, und meinte, ich sei areligiös, es tue mir leid.
»Nein, nein, das macht nichts«, sagte sie sehr freundlich.
Ich schämte mich noch stundenlang. Atheismus kann blöd machen, und er bringt Wahrnehmungsdefekte und Hartleibigkeit hervor, wenngleich unwillentlich.
Das passiert mir nicht mehr. Hoffentlich.
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