Wo bleibt der Aufstand?
Von Holger RömersFängt ein Film mit einem Mord an, handelt es sich meist um einen Krimi oder Thriller. Doch allem Anschein nach halten Daniel Hoesl und Julia Niemann solche Konventionen nicht einmal der Parodie für würdig. Kaum dass in »Veni Vidi Vici« jemand von Gewehrschüssen niedergestreckt wird, beantworten die beiden Regisseure auch schon die Kardinalfrage, die verballhornt zum englischen Genrebegriff Whodunit geronnen ist: Der Täter ist in diesem Fall ein Familienvater und Großinvestor, Amon (Laurence Rupp), der sein Milliardenvermögen durch den Bau einer Batteriefabrik weiter vermehren will. Vor allem aber ignorieren die österreichischen Filmemacher die gängigsten Erzählmuster, mit denen Krimis und Thriller die Wiederherstellung von Ordnung thematisieren und dem Verbrechen eine Moral geben: Bei ihrer zweiten gemeinsamen Regie (nach dem Dokumentarfilm »Davos« von 2020) lassen uns Hoesl und Niemann weder Ermittlungsschritte verfolgen noch nutzen sie die intime Nähe, die die gewählte Erzählperspektive zu dem mörderischen Protagonisten herstellt, um Tatmotive zu beleuchten.
Hoesls Drehbuch lässt die Beweislage von vornherein so eindeutig erscheinen, dass die Polizei bloß eins und eins zusammenzählen müsste, wollte sie bezüglich der schon länger anhaltenden Mordserie nicht beharrlich die Tatsachen leugnen. Einen Augenzeugen komplimentieren örtliche Schutzmänner sogar unwirsch aus ihrer Wachstube. Derweil ist der Journalist Volker (Dominik Warta) seinerseits zu dem Rechercheergebnis gekommen, dass Amon für die Bluttaten verantwortlich ist, was die Chefredakteurin (Martina Spitzer) eines großen Printmediums freilich mit der Bemerkung wegwischt: »Du bist und bleibst ein Verschwörungstheoretiker.«
Auf dem Gesicht des Täters spiegelt sich indes ausgelassene Fröhlichkeit, wenn er nach dem anfänglichen Mord beschwingt nach Hause radelt. Doch abgesehen von einer Nahaufnahme dieses stummen Mienenspiels liefert uns der Film keine Beweggründe für die beiläufig eingestreuten Todesschüsse. Kaum vorstellbar, dass Amon einem unbezwingbaren Mordtrieb unterliegt, denn er strahlt im allgemeinen eine beneidenswerte Ausgeglichenheit aus. Da er zuvor keine ersichtlichen Beziehungen zu seinen namenlos bleibenden Opfern unterhielt, bieten sich auch keine anderen Motive an.
Kurzum, der Protagonist dieser Gesellschaftssatire tötet, weil die Filmemacher es so wollen. Und die wollen es ganz offenkundig, um ihr Publikum zu provozieren, denn wir sind selbstverständlich angesprochen, wenn Amon sich in einem Dialog mit Volker wundert: »Ich komme mit allem durch. Wo bleibt der Aufstand? Warum lassen sich die Menschen das gefallen?« In einer ähnlichen, zugespitzten Frage münden denn auch abschließend die süffisanten Kommentare, die Amons jugendliche Tochter Paula (Olivia Goschler) gelegentlich aus dem Off einstreut.
Das straflose Morden ist also als Metapher für die oligarchische Macht der Superreichen aufzufassen, wobei es fruchtbar wirkt, dass die Bedeutung der zynischen Übertreibung nie näher bestimmt wird. Zwar raunt Paula früh aus dem Off, dass Frechheit siege. Und Stiefmutter Viktoria (Ursina Lardi) macht sich über einen beklauten Ladenbesitzer lustig, wenn sie offenkundig zum Schein in dessen Lob auf Sekundärtugenden einstimmt und mit glattem Lächeln Floskeln wie »Ehrlich währt am längsten« zum besten gibt. Aber der kokette Witz dieses Films erschöpft sich nicht in der Binsenweisheit, dass Geld den Charakter verderbe und die Verhältnisse ungerecht seien.
So hält das Befremden, das die augenscheinliche Sinnlosigkeit von Amons Bluttaten auslöst, bis zum Ende an. Und es färbt auch die Wahrnehmung des Familienglücks ein, das früh durch die Nachricht von der erwünschten Schwangerschaft Viktorias gekrönt wird und in schönstem Einklang mit jenem Kaiserwetter steht, das in »Veni Vidi Vici« liebliche Voralpenlandschaften umschmeichelt. Die häuslichen Szenen wurden übrigens im Wiener Palais Rasumofsky gedreht, dem laut Hoesl »größten Privathaus Österreichs«, wo eine Drehgenehmigung wohl deshalb erteilt wurde, weil der 1982 geborene Filmemacher schon bei Recherchen zu seinem zweiten Spielfilm »WinWin« (2016) Kontakt zu realen Superreichen geknüpft hat.
Man muss mitteleuropäische Oligarchen nicht aus eigener Anschauung kennen, um zu ahnen, dass von ihnen zumindest die wahllose Ballerei auf Ahnunglose nicht dringlicher zu befürchten ist als von Bäckern oder Taxifahrern. Doch das Gruseligste an diesem Film ist, dass er fast dazu verleitet, sich solch eine mörderische Provokation von einem realen Pendant Amons herbeizuwünschen. Denn entgegen den Absichten von Hoesl und Niemann bekräftigt ihr Plot wohl unweigerlich die Zweifel, ob etwas anderes als irrsinnige Selbstsabotage die Unangreifbarkeit der abgebildeten Milliardärskaste überhaupt noch eindämmen könnte.
»Veni Vidi Vici«, Regie: Daniel Hoesl und Julia Niemann, Österreich 2024, 86 Min., Kinostart: heute
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