Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 10.01.2025, Seite 2 / Inland
Bettelverbot in Bus und Bahn

»Armut muss an der Wurzel bekämpft werden«

Hamburg: Betteln in Bussen und Bahnen verboten. Bei Verstoß droht Geldstrafe. Ein Gespräch mit Rita Feleki-Dengel
Interview: Kristian Stemmler
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Fahrgäste sollen vom Elend abgeschirmt werden (Hamburg)

Sie haben einen offenen Brief an den Hamburger Verkehrsverbund, HVV, formuliert, der sich gegen das Bettelverbot in den Verkehrsmitteln des HVV richtet. Was ist der Hintergrund dieses Verbots?

In S- und U-Bahnen in Hamburg gibt es seit Mai vergangenen Jahres Lautsprecherdurchsagen, über die nicht nur auf das Bettelverbot hingewiesen wird, sondern Fahrgäste auch dazu aufgerufen werden, den bettelnden Menschen kein Geld zu geben. Diese Durchsagen wurden vermehrt vor und während der Fußballeuropameisterschaft getätigt. Deshalb haben wir uns im Juni 2024 als Lobbygruppe gegen Verdrängung und Diskriminierung, »Lovd 2030«, zusammengefunden. Wir wollten dem nicht tatenlos zusehen.

Was kritisieren Sie an den Durchsagen in den HVV-Verkehrsmitteln?

Es ist ein repressives Mittel, das auf Kosten der ärmsten und am stärksten benachteiligten Gruppen geht. Es führt dazu, dass Armut weniger sichtbar wird. Aber es braucht Öffentlichkeit, um Probleme zu verändern. Armut muss an der Wurzel bekämpft werden. Das Bettelverbot ist diskriminierend, da es nicht nur das Verhalten bestraft, wie es Christoph Kreienbaum, Pressesprecher der Hamburger Hochbahn, beschönigend sagte, sondern eine bestimmte Menschengruppe.

Der HVV rechtfertigt das mit dem Hinweis, Fahrgäste fühlten sich durch das häufige Betteln und das aggressive Auftreten mancher Bettler belästigt.

Das finden wir diskriminierend. Warum kommt der HVV diesem Wunsch der Fahrgäste nach und verweist nicht auf das Menschenrecht? Es kann nicht geleugnet werden, dass die Transportmittel des HVV öffentlicher Raum sind. Menschen sollen im öffentlichen Raum aber die Möglichkeit haben, ihre Not auszudrücken. Menschen können in der Öffentlichkeit nicht erwarten, mit tatsächlichen Zuständen, und dazu gehört auch Armut, nicht konfrontiert zu werden.

Wir können verstehen, dass man manchmal keine Lust hat, auf andere zu reagieren, aber selbst das verlangen nur die wenigsten der bettelnden Menschen. Und wem schadet es, jemandem ein Lächeln zu schenken und einen schönen Tag zu wünschen? Wir haben noch nie erlebt, dass ein bettelnder Mensch daraufhin verärgert reagierte oder gar aggressiv wurde. Dass Obdachlose aggressiv seien, ist auch ein gängiges Narrativ, bei dem man sich fragen sollte, ob das wirklich dem eigenen Erleben entspricht.

Für Betteln ist eine Strafzahlung von 40 Euro vorgesehen. Was bedeutet das für die Betroffenen?

Gegen bettelnde Menschen wurden im ersten Halbjahr 2024 über 1.300 Bußgelder verhängt. Das ist ein deutlicher Anstieg zum Vorjahr. Die Betroffenen befinden sich sowieso in einer extremen Notlage. Wenn ihnen dann noch ein Bußgeld in Höhe von 40 Euro ausgestellt wird, können das viele nur mit äußerster Not bezahlen, oder das Bußgeld muss von sozialen Einrichtungen übernommen werden.

Das Bettelverbot in S- und U- Bahnen führt dazu, dass bettelnde Menschen weiteren Repressionen ausgesetzt sind. Wenn sie aus ihrer Not heraus trotzdem betteln, bedeutet das zusätzlichen Stress – ausgelöst nicht nur durch das Sicherheitspersonal, das nicht selten rabiat vorgeht, um das Bettelverbot durchzusetzen, sondern auch durch Fahrgäste, die sich möglicherweise durch das Bettelverbot bestärkt fühlen, bettelnden Menschen weniger Menschlichkeit entgegenzubringen.

Was fordern Sie konkret?

Wir fordern einen Stopp des Bettelverbots in allen öffentlichen Verkehrsmitteln und einen runden Tisch bei der Hamburger Hochbahn, bei dem von verschiedenen Interessenvertretern wie etwa Obdachlosenverbänden ein verbesserter sozialer Umgang mit dem Thema gefunden wird. Wir fordern die Umsetzung des »Housing First«-Programms, um obdachlosen Menschen ohne Vorbedingungen eigenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, und den Ausbau der sozialen Hilfslandschaft. Die Kriminalisierung und Platzverweisung von obdachlosen und bettelnden Menschen muss aufhören.

Rita Feleki-Dengel ist aktiv bei der Hamburger Gruppe »Lobby gegen Verdrängung und Diskriminierung«

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