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Aus: Ausgabe vom 13.01.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Wirtschaftskrieg

Eine elegante Phrase

Sanktionen, Embargo, Blockade, Boykott: Manfred Sohns lesenswertes Buch über die »Sanktionsmaschine«
Von Dieter Reinisch
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Die Blockade verhindert Reparaturen und Investitionen: Während eines Stromausfalls in Havanna (4.12.2024)

Seit einigen Monaten ziehen plötzlich angebliche russische Schatten- oder Geisterflotten über die Weltmeere. Mit ihnen, heißt es, unterlaufe Russland die westlichen Sanktionen gegen das Land. Rasch kündigte die britische Labour-Regierung eine Nachschärfung der Sanktionen an, um diese angebliche Riesenflotte unter falschen Flaggen wieder in die Schranken zu weisen. Die EU zog nur wenige Tage später nach und verschärfte die Sanktionen ebenfalls.

Die 2022 extrem verschärften Sanktionen gegen Russland leiteten eine neue Phase der westlichen Maßnahmen gegen verfeindete Länder ein. Denn, wie Manfred Sohn in seinem Buch »Die Sanktionsmaschine« darlegt, wurden hier erstmals in neuerer Zeit Sanktionen gegen eine große Volkswirtschaft und bedeutende Weltmacht eingeführt. In den Jahrzehnten zuvor waren die Betroffenen von westlichen Sanktionen Länder des globalen Südens: Kuba, Venezuela, Syrien, Iran, Irak. Dafür gibt es unterschiedliche Begrifflichkeiten: Sanktionen, Embargo, Blockade, Boykott. Syrien ist neben Kuba und Russland eines der Länder, dem Sohn viel Raum in seinem informativen und lesenswerten Einführungsbuch zur Entwicklung von Sanktionen gegen Staaten widmet, auch wenn es lange vor den aktuellen Entwicklungen in der Region verfasst wurde.

Der Autor zeichnet die Entstehung der Sanktionen im Zeitalter des Monopolkapitalismus und Imperialismus nach. Klar zeichnet er nach, wie sie von einem Werkzeug der Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten (die Blockade gegen Deutschland während des Ersten Weltkriegs ist für Sohn die »Mutter« der modernen Sanktionspolitik) zu einem Mittel gegen revolutionären Regierungen in Räte-Ungarn und Sowjetrussland wurden. Der Völkerbund und später die Vereinte Nationen lieferten dafür die »Mandate«.

Sohns materialistischer Ansatz macht sein Buch zu einer empfehlenswerten Ergänzung zu dem nur wenige Monate zuvor erschienenen Buch »Im Wirtschaftskrieg« des Wiener Verlegers und Osteuropaexperten Hannes Hofbauer, dessen Buch eine wertvolle Darlegung der langen historischen Entwicklung und des Wandels von Sanktionen seit der Antike ist. Sohns Buch ist dagegen eine marxistische Darlegung desselben Phänomens im Monopolkapitalismus und der aktuellen Phase des Niedergangs des Imperialismus. In dieser Phase wurden, losgelöst von den Fesseln der UN, in der Russland und China im Sicherheitsrat besonders seit 2000 eine zunehmend eigenständige Rolle spielen, Sanktionen eine Kriegswaffe des Nordens gegen den Süden. 33 Länder sind derzeit von US-Sanktionen betroffen.

Beide Bücher haben gemein, dass sie aufzeigen, dass Wirtschaftssanktionen keine »harmlosen« Hebel sind: Bis zu 400.000 Menschen seien während des Ersten Weltkriegs in Zentraleuropa, weitere 500.000 im Osmanischen Reich den Auswirkungen von Sanktionen zum Opfer gefallen, ist bei Sohn zu lesen. Bereits 1919 bezeichnete sie daher Christabel Pankhurst als »elegante Phrase für Folter«. Doch nicht nur die arbeitenden Menschen in den sanktionierten Ländern leiden darunter. Teuerungen, sinkender Lebensstandard und Demokratieabbau wurden auch durch die Russlandsanktionen etwa in Deutschland beschleunigt. Gleichzeitig konnte sich die russische Wirtschaft relativ gut anpassen. Laut einer im November von der Konrad-Adenauer-Stiftung präsentierten Studie hat sie von den Sanktionen sogar profitiert. Sohn appelliert daher zu Recht, dass der Kampf gegen die Sanktionsmaschine »ein wesentlicher Teil des Kampfes um den Frieden auf diesem Planeten« ist.

Manfred Sohn: Die Sanktionsmaschine. Eine Einführung. Mangroven, Kassel 2025, 132 Seiten, 25 Euro

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