Feuerwehr gegen Polizei
Von Gerrit HoekmanGroßkampftag der belgischen Gewerkschaften. Mehrere zehntausend Menschen aus unterschiedlichen Berufen sind am Montag in Brüssel gegen die geplante Rentenreform der vielleicht demnächst in Belgien regierenden »Arizona-Koalition« auf die Straße gegangen. Die Folgen für das öffentliche Leben waren erheblich. Weil rund 25.000 Lehrkräfte an der Demo teilnehmen wollten, fiel in zahlreichen Schulen der Unterricht aus. »Wir sind keine Zitronen, bleibt weg von unseren Pensionen«, stand auf einem Transparent. »Wir müssen jetzt für weniger Rente länger arbeiten, das geht nicht«, sagte ein Lehrer gegenüber VRT Nws. Insgesamt nahmen laut Angaben der Gewerkschaft deutlich mehr als 30.000 Menschen teil.
Am Flughafen in Zaventem wurden 40 Prozent der Flüge abgesagt – die Gepäckabfertigung streikte und die Sicherheitsleute ebenfalls. In Brüssel fuhr am frühen Morgen nur eine Metrolinie, viele Nahverkehrszüge blieben in den Depots. Der grenzüberschreitende Schienenverkehr war ebenfalls betroffen: Nur jeder dritte Intercity fuhr planmäßig. Die Nachtzüge von Brüssel nach Berlin und Wien starteten erst ab dem Kölner Hauptbahnhof. Auch in den Gefängnissen in Flandern und Brüssel erschien das Wachpersonal nicht zur Arbeit. Polizei und Rotes Kreuz übernahmen die Aufgaben.
Drei Milliarden Euro wolle die »Arizona-Koalition« einsparen, vermutet die sozialistische Gewerkschaft ABVV-FGTB auf ihrer Internetseite. »Das ist inakzeptabel. Noch immer liegen unsere Renten unter dem europäischen Durchschnitt.« Die Vereinigung aus den drei großen belgischen Gewerkschaften – eine sozialistische, eine christliche und eine liberale – fordert statt dessen gute Arbeitsbedingungen während des gesamten Berufslebens, kürzere Lebensarbeitszeit in körperlich anstrengenden Berufen, gerechte Unternehmerbeiträge zur Sozialversicherung und ein Ende bedingungsloser Geschenke an Unternehmen. Der sozialistische Gewerkschaftsführer Thierry Bodson drohte auf der Kundgebung schließlich mit einem Generalstreik, falls es zu Rentenkürzungen komme.
Der Unternehmerverband Voka jammerte laut dem Brüsseler Lokalsender Bruzz am Montag wieder einmal darüber, dass die Gewerkschaften sehr schnell zu Streikmaßnahmen greifen würden. Bislang hätte die »Arizona-Koalition« doch überhaupt noch nichts Konkretes entschieden. »Unsere Unternehmen haben aufgrund sinkender Nachfrage, explodierender Arbeits- und Energiekosten und administrativer Belastungen wirklich zu kämpfen. (…) Die Gewerkschaften müssen sich darüber im klaren sein, dass sie damit die Situation in unseren Unternehmen weiter verkomplizieren und verschlechtern.«
Tatsächlich sind längst nicht alle Meinungsverschiedenheiten zwischen den fünf Parteien ausgeräumt, die willig sind, sich an »Arizona« zu beteiligen. Ob sich flämische Nationalisten, Sozial- und Christdemokraten sowie wallonische Liberale und Christsoziale überhaupt jemals einig werden, ist Kaffeesatzlesen. Verhandlungsführer Bart De Wever, der Chef der nationalistischen Nieuw-Vlaamse Alliantie, bezeichnete die Chancen am Sonnabend gegenüber der Tageszeitung Het Laatste Nieuws nur als etwas besser als 50 zu 50.
Die Gewerkschaften sind jedoch der Meinung, dass es besser ist, schon jetzt unmissverständlich klarzumachen, welcher soziale Protest auf eine mögliche Koalition zukommt, falls sie an den durchgesickerten Rentenplänen festhält, anstatt später vor vollendeten Tatsachen zu stehen. Besonders die sozialdemokratische flämische Partei Vooruit (Nach vorne), die über »Arizona« mitverhandelt, soll unter Druck gesetzt werden. Das könnte klappen, auf der Demo wurden auch Mitglieder von Vooruit gesichtet. »Wir verstehen sehr gut, dass die Menschen aufgrund dessen, was sie hören und lesen, besorgt sind«, zitierte VRT Nws den Abgeordneten Oskar Seuntjens. »Es gibt noch keine Einigung. Wir werden weiterhin unser Möglichstes tun, um die Einigung so sozial und fair wie möglich zu gestalten«, versprach er schwammig. Vom Ausstieg aus den Koalitionsverhandlungen war nicht die Rede.
Gegen Mittag meldete die Polizei einen kuriosen Zwischenfall: »Mehrere Feuerwehrleute haben unsere Kollegen angegriffen. Einige Polizisten wurden verletzt. Kurzzeitig kam Tränengas zum Einsatz.« Laut Polizei habe es sich um eine Gruppe von mehreren Dutzend demonstrierenden Feuerwehrleuten gehandelt, die versuchten, den Verkehr zu blockieren.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (16. Januar 2025 um 11:20 Uhr)Die einzelnen Länder der EU sind wie Äpfel in einem einzigen Korb gefangen. Fängt einer an zu faulen, so steckt er schon bald auch die anderen an; keiner kann entkommen und individuell mehr gedeihen. Und so werden wir ähnliche handfesten Auseinandersetzungen um Rentenkürzungen zugunsten von Kriegsertüchtigungs- und -örderungsfinanzierungen sicher auch schon bald bei uns auf den Straßen und Plätzen haben.
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