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Aus: Ausgabe vom 14.01.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Great Nicobar Island

Fragiles Inselparadies in Gefahr

Indiens BJP-Regierung will auf Groß-Nikobar ein Megaprojekt umsetzen
Von Thomas Berger
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Geht es nach der Modi-Regierung, soll Groß-Nikobar demnächst zum »Hongkong Südasiens« werden

Es sei ein »Rezept für ein ökologisches und humanitäres Desaster«, sagte Jairam Ramesh, Sprecher der Kongresspartei (INC), der größten Partei innerhalb der oppositionellen INDIA-Allianz, am 6. Januar. Dass Indiens Regierung unter Premier Narendra Modi das viel kritisierte Infrastrukturprojekt auf Great Nicobar Island stoppt und, wie gefordert, einer Überprüfung durch ein unabhängiges Gremium unterzieht – darauf deutet im Moment nichts hin.

Die Inselgruppe der Andamanen und Nikobaren vor der Küste des indischen Subkontinents ist ein zentral verwaltetes Unionsterritorium – und einer der abgelegensten Flecken des riesigen Landes. Zu Kolonialzeiten unterhielten die Briten auf den Andamanen ein Strafgefangenenlager, und bis heute sind auf Teilen dieser Inselgruppe indigene Völkerschaften ansässig, die eine besonders ursprüngliche Lebensweise pflegen, deshalb speziell geschützt sind und ihrerseits strikt jeden Kontakt zur modernen Gesellschaft ablehnen. Auf den benachbarten Nikobaren sind lediglich zwölf der 22 Inseln überhaupt besiedelt. Auf der am südlichsten gelegenen Hauptinsel Groß-Nikobar (englisch Great Nicobar, Baṛā Nikobār auf Hindi und in der lokalen Sprache Tokieong Long) leben auch nur rund 10.000 Menschen auf 1.045 Quadratkilometern.

Geht es nach der Modi-Regierung, soll Groß-Nikobar demnächst zum »Hongkong Südasiens« werden. Eine ganze Stadt soll dort samt Hafen und Flughafengelände aus dem Boden gestampft werden. Was die Spitzen der im fernen Delhi seit einem Jahrzehnt regierenden Hindunationalisten der Bharatiya Janata Party (BJP) vorhaben, gefährdet einerseits das fragile Ökosystem auf der Insel und andererseits die traditionelle Lebensweise der Menschen vor Ort. Vor allem die Volksgruppe der Shompen ist von Vertreibung und kultureller Entwurzelung bedroht. Sie gehört zu den isoliertesten indigenen Gemeinschaften des Erdballs. Wie viele Angehörige der Stamm momentan noch hat, kann niemand so genau sagen. Diverse Quellen sprechen von etwa 400 Menschen. Bei Agenzia Fides, dem Presseorgan der päpstlichen Missionswerke, ist in einem aktuellen Beitrag sogar nur noch von 300 Shompen die Rede.

Das indische Ministerium für Schiffahrt hat auf X eine 3-D-Animation des künftigen Hafenareals geteilt, auf die etwa die britische BBC im Dezember zur Bebilderung eines Beitrags über das kontroverse Großprojekt zurückgriff. »Der Wald ist unser Supermarkt«, wird im dazugehörigen BBC-Text Anstice Justin zitiert. Der lokale Anthropologe ist selbst auf einer der 38 bewohnten von insgesamt über 380 Inseln der Andamanen und Nikobaren aufgewachsen und kennt die enge Verbindung der Einheimischen zur dortigen Natur. Diese ökologisch sensible Lebensweise würde mitsamt einer ganzen Kultur zerstört werden, sollten die Pläne zur Umsetzung kommen, fürchten Kritiker. Menschen und Umwelt hätten zu leiden, sollte auf 166 Quadratkilometern ein Kraftwerk zur Energieerzeugung, ein riesiger Hafen, ein ebenso großer Flughafen und eine städtische Siedlung für geschätzt wohl 650.000 Menschen, die zumeist als völlig Fremde in das Inselparadies einfallen würden, gebaut werden. Rund 720 Milliarden Rupien will sich die Regierung das zusammen mit privaten Investoren kosten lassen – umgerechnet etwa 8,5 Milliarden Euro.

Professor Pankaj Sekhsaria vom IIT Bombay in Mumbai, der die bisherigen Umweltgutachten zum Projekt analysiert hat, kommt zu dem Schluss, sie seien oberflächlich und genügten wissenschaftlichen Anforderungen zum Teil nicht. Im Mai 2023 protestierten verschiedene ehemalige Topbürokraten. Ein laufendes Verfahren vor dem National Green Tribunal bemängelt »unbeantwortete Defizite«. Weitere Vorbereitungen für das Megaprojekt wurden bisher trotzdem nicht gestoppt.

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