Osten auf der Streichliste
Von Kristian Stemmler
Ein Amt im Berliner Polituniversum, dessen Inhaber garantiert nichts zu entscheiden hat, ist das des »Ostbeauftragten«. Vom Regierungsstandpunkt abweichende Auffassungen waren und sind vom jeweiligen Ostbeauftragten schon deshalb nicht zu hören, weil er von der Regierung ernannt wird. Anlass dafür gäbe es aber genug, denn auch fast 35 Jahre nach dem Anschluss der DDR sind die Unterschiede bei grundlegenden sozioökonomischen Kennziffern zwischen den west- und ostdeutschen Bundesländern immer noch groß – jeweils zum Nachteil des Ostens.
Die Beschäftigten im Osten verdienen bei gleicher Qualifikation weniger als im Westen; der Osten ist seit der Zerstörung der DDR-Industrie nach 1990 eine verlängerte Werkbank für Westkonzerne; ostdeutsche Haushalte verfügen oft über wenig oder kein Vermögen. Über diese Dinge wird neuerdings wieder verstärkt gesprochen: Seit zwei, drei Jahren werden Geschichte und Gegenwart des Ostens wieder neu als Thema entdeckt. Etwas überraschen mag da auf den ersten Blick ein Schachzug der Union im laufenden Bundestagswahlkampf: Sie will das Amt des Ostbeauftragten, das derzeit der Erfurter Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider (SPD) innehat, abschaffen, sollte sie die Regierungsgeschäfte übernehmen. Applaus kommt von der AfD. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei sind dagegen.
Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) bestätigte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Sepp Müller, am Freitag das Vorhaben. »Wir brauchen keinen Ostbeauftragten mehr«, sagte Müller. 35 Jahre nach der Wiedervereinigung halte er dieses Amt für überholt, sagte der Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt. Es gebe zwar immer noch »ostspezifische Probleme«, die man angehen müsse, so Müller. Aber auch Westdeutschland habe strukturschwache Regionen. Die Union will die Zahl der Regierungsbeauftragten insgesamt reduzieren.
Frank Junge, Vorsitzender der Landesgruppe Ost in der SPD-Bundestagsfraktion, sagte gegenüber dem RND, es seien nach wie vor Unterschiede zwischen Ost und West vorhanden, die es zu bewältigen gelte. Dabei könne ein Ostbeauftragter von Nutzen sein. Ähnlich sieht es Paula Piechotta, Sprecherin der Landesgruppe Ost in der Grünen-Bundestagsfraktion. Solange diese Unterschiede bestünden, werde das Amt benötigt. Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner sagte am Freitag, das Amt sei »sinnvoll«.
Auch die Linkspartei kritisierte das Vorhaben der Union. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch regte gegenüber dpa an, statt des Ostbeauftragten das Bonn-Berlin-Gesetz abzuschaffen, »damit endlich alle Ministerien in Berlin sind«. »Christian Lindner macht keinen Wahlkampf in Ostdeutschland, Lufthansa streicht ab März die Flugverbindung zwischen Leipzig/Halle und München – und die CDU/CSU will nun den Ostbeauftragten abschaffen«, sagte Sören Pellmann, Kovorsitzender der Linke-Gruppe, am Freitag gegenüber junge Welt. An diesen Beispielen zeige sich »wieder die Ignoranz der Herrschenden gegenüber Ostdeutschland«. 35 Jahre nach dem »Anschluss der DDR an die BRD« gebe es keine »Einheit« bei Löhnen, Renten und Vermögen: »Nur die Militärstützpunkte werden ausgebaut.« Auch im nächsten Bundestag brauche es daher »eine linke Opposition, die die Interessen Ostdeutschlands vertritt«.
Die AfD begrüßt dagegen den Vorschlag der Union als Bestandteil einer generellen Infragestellung der zahlreichen »Regierungsbeauftragten«. Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher der Partei, zeigte sich in einer Pressemitteilung am Freitag überzeugt, dass »dieser und andere Posten, die dem Steuerzahler zig Millionen Euro Kosten aufbürden, keinen Nutzen bringen und einzig demjenigen dienen, der sie innehat«. Das Amt müsse »sofort und unwiderruflich« abgeschafft werden, ebenso wie »der Großteil der anderen 45 Bundesbeauftragten«. Anmerkungen zu den spezifischen Problemen des Ostens und deren Bearbeitung oder Nichtbearbeitung durch den Ostbeauftragten hatte Brandner nicht.
Schneider hat das Amt des Ostbeauftragten, das es seit 1998 gibt, im Rang eines Staatsministers seit 2021 inne. Von ihm war abseits der jährlich wiederkehrenden Termine und Jubelfeste mit Bezug zur »Einheit« wenig zu hören.
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Leserbrief von Wolfgang Schlenzig aus Berlin-Mariendorf (19. Januar 2025 um 16:55 Uhr)Ich finde es auch richtig, alle Beauftragten der Bundesregierung, der Landesregierungen, des Senats von Berlin und auch dessen Stadtbezirke einschließlich deren mitunter großen Stäbe aufzulösen, zu streichen, weil sie tatsächlich viel Geld kosten und, seinen wir ehrlich, wenig bis nichts bringen. Probleme gibt es Deutschland wahrhaftig in mehreren Regionen und zu mehreren Themen. Da sind die sog. neuen Bundesländer nicht mehr exponiert, meine ich. Wir haben überall Parlamente, wo es jetzt schon in den Fraktionen sowie auch parteienübergreifend Interessengruppierungen gibt. Da können sich die Leute dort auch um das kümmern, was die Beauftragen mehr schlecht als Recht machen. Die Beauftragten mit ihren Stäben sind nichts weiter als aufgeblähter Apparat. Und wir wollen doch alle eine effiziente Exekutive und Verwaltung.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (18. Januar 2025 um 14:50 Uhr)Bisher diente das Amt des Ostbeauftragten vor allem als PR-Agentur der jeweiligen Bundesregierung. Die Amtsinhaber von der SPD versprachen regelmäßig, die Lebensverhältnisse vom Ost und West anzugleichen und blieben ebenso regelmäßig den Nachweis dafür schuldig. Und die der CDU konzentrierten sich auf die Beschönigung der Verhältnisse und lobpreisten ihre jeweiligen Regierungen und deren Chefs. Etwaige Schwierigkeiten und Rückstände beim Aufbau Ost hängten sie der längst untergegangenen DDR an. Wobei die beiden letzten Ostbeauftragten von der CDU, Hirte und Wanderwitz, den Blick durchaus erweiterten und die Schuld dafür auch den ihrer Meinung nach diktaturgeschädigten und demokratiefeindlichen Ossis selbst zuschoben. Für den seltsamerweise ausbleibenden Erfolg seiner Tätigkeit musste sich bisher kein Ostbeauftragter rechtfertigen, da die Aufgaben des Ostbeauftragten nicht verbindlich definiert sind und von Regierung zu Regierung immer wieder unterschiedlich formuliert werden. Einzige wiederkehrende Aufgabe ist die Herausgabe des »Berichtes zum Stand der Deutschen Einheit«. Ursprünglich sollte sein Inhaber den sogenannten »Aufbau Ost«, und dort speziell die finanziellen öffentlichen Fördermaßnahmen koordinieren. Somit kann das Amt des Ostbeauftragten heute im Prinzip für alles Mögliche genutzt werden, so lange man es nur irgendwie mit den »Neuen Bundesländern« in Zusammenhang bringen kann. Die Abschaffung des Ostbeauftragten wird genauso wenig Auswirkung auf die weitere Entwicklung Ostdeutschlands haben, wie es seine (Noch-)Existenz hat. Mal abgesehen davon, dass es der CDU dann keine Plattform mehr bietet für Hass und Hetze gegen den Osten.
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