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Aus: Ausgabe vom 18.01.2025, Seite 7 / Ausland
Brief aus Jerusalem

American Colony

Brief aus Jerusalem: Wie sich Protestanten aus den USA im Ostteil der Stadt ansiedelten
Von Helga Baumgarten
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Die »Amerikanische Kolonie« im Ostteil Jerusalems siedelte in den Fußstapfen einflussreicher Familien (1919)

Über das »Dar Al-Tifl« oder »Haus des Kindes« habe ich schon früher geschrieben. Ursprünglich war es ein Waisenhaus für Kinder, die das Massaker von Deir Jassin am 9. April 1948 überlebt hatten. Es wurde von Hind Al-Husseini in ihrem elterlichen Haus gegründet. Die Husseinis sind die historisch einflussreichste Familie in Jerusalem. Wie alle Notabeln wohnten sie in der Jerusalemer Altstadt in der Nähe des Haram Al-Scharif mit dem Felsendom und der Aksa-Moschee. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts beschlossen mehrere dieser Notabeln, sich neue Domizile außerhalb der Mauern der Altstadt zu errichten. Pionier war Rabah Effendi, einer der reichsten Husseinis. Er baute seinen Palast im Viertel Scheich Dscharrah.

Ihm folgten viele Verwandte. Bis heute gehören fast alle Häuser dort der Husseini-Familie. Eines davon ist das 1897 erbaute und durch Faisal Al-Husseini bekannte »Orienthaus«, das von der israelischen Regierung zuerst 1988 nach der Unabhängigkeitserklärung der PLO geschlossen wurde. 1992 wurde es wieder geöffnet, um dann endgültig 2001 dichtgemacht zu werden. Hier schließt sich ein Kreis: Faisal war der Sohn von Abdelkader Al-Husseini, der Jerusalem vor den zionistischen Angriffen verteidigt hatte und 1948 in der Schlacht von Al-Kastal gefallen war. Deir Jassin liegt in direkter Nachbarschaft von Al-Kastal, es wurde unmittelbar nach dieser Schlacht angegriffen und zerstört. Zahllose Einwohner wurden ermordet, der Rest vertrieben.

Wo ist die Verbindung zu US-amerikanischen Protestanten und ihrer Kolonisierung Ostjerusalems? Hier kommt die Familie von Horatio Spafford aus Chicago ins Spiel. Spafford heiratete die in die USA eingewanderte Dänin Anna Larsen. Zusammen beschlossen sie, sich im »Heiligen Land« niederzulassen. 1881 kamen sie an und wohnten nach monatelangem Aufenthalt im Hotel in einem Haus in der Jerusalemer Altstadt, das sie käuflich erwarben. Die Familie und mit ihr weitere Protestanten aus den USA engagierten sich in vielen Bereichen, nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen.

1896 kam die große Chance für die Spaffords: Die Erben von Rabah Effendi, der 1886 ohne eigene männliche Nachfolger gestorben war, vermieteten den Palast, und es war Anna Spafford, die zuschlug. Alle US-Amerikaner zogen um nach Scheich Dscharrah, behielten aber auch ihre Häuser in der Altstadt. Die Palästinenser, so berichtete die Tochter von Horatio und Anna Spafford, Bertha Spafford-Vester, bezeichneten sie als die »amerikanischen Kolonisten«. Der Palast von Rabah Effendi erhielt so den Namen »American Colony«. 1910 beschlossen die Husseinis, ihn zu verkaufen. Anna Spafford wurde die neue Besitzerin. Als sie 1923 starb, übernahm Bertha Spafford-Vester den Besitz bis zu ihrem Tod 1968.

Inzwischen ist das »American Colony« ein international bekanntes Hotel. In den 1980ern und 1990ern war es ein Treffpunkt für Journalisten und Aktivisten. Einige Jahre lang unterhielt der britische Expremierminister Tony Blair dort das Hauptquartier des für Palästina so verhängnisvollen »Nahostquartetts«. In direkter Nachbarschaft zum »American Colony« steht das Museum des »Dar Al-Tifl«, das »Palestinian Heritage Museum«. In ihm findet sich eine reiche Sammlung palästinensischer Folklore. Ein Kleinod ist das wiederhergestellte Arbeitszimmer von Hind Al-Husseini mit ihrem Klavier, ihrem Schreibtisch und ihrer fast schon historischen Schreibmaschine.

Dies ist der 21. »Brief aus Jerusalem« von Helga Baumgarten, emeritierter Professorin für Politik der Universität Birzeit

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