Frankenstein übernimmt in Sofia
Von Walter MandićNach sieben Parlamentswahlen innerhalb von dreieinhalb Jahren hat sich in Bulgarien diese Woche eine neue Regierung gebildet. Das Kabinett wird von dem 56jährigen Juristen Rossen Scheljaskow angeführt und umfasst Minister aus seiner eigenen konservativen Partei GERB, der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) und der Partei »Es gibt ein solches Volk« (ITN). Eigentlich reichen ihre Sitze für eine Regierungsbildung nicht aus, doch die Partei der türkischen Minderheit von Ahmed Dogan, »Bewegung für Rechte und Freiheiten« (DPS), sicherte der neuen Regierung am Donnerstag im Parlament die fehlenden Stimmen. Dass es nach langen Verhandlungen zu einer Einigung kam, ist vor allem auf Kompromisse aller Seiten zurückzuführen. Ob der gefundene kleinste gemeinsame Nenner für eine Regierungszeit ausreicht, die länger als die zuletzt im Durchschnitt zu verzeichnenden paar Monate dauert, bleibt ungewiss.
Tatsächlich könnten die drei Parteien unterschiedlicher nicht sein. Die BSP ist aus der ehemaligen Kommunistischen Partei Bulgariens hervorgegangen. Bis vor kurzem stand sie für einen prorussischen und EU-skeptischen Kurs. Die GERB ist seit vielen Jahren die dominierende Kraft im postsozialistischen Staat und gibt sich vor allem als Gegner der BSP. Wie die meisten großen Parteien im postsozialistischen Raum verfolgt sie eine klientelistische Politik, weshalb viele Bürger sie wegen der verbreiteten Korruption im Staat kritisieren. Aus der Antikorruptionsbewegung, die 2021 den Sturz der Regierung und die bis jetzt andauernde Krise auslöste, ging wiederum die rechte ITN hervor. Sie versteht sich als Anti-Establishment-Partei und hatte eine Zusammenarbeit mit GERB und BSP zuvor kategorisch abgelehnt. Die ehemalige BSP-Vorsitzende Kornelija Ninowa bezeichnete die neue Koalition denn auch als »Frankenstein-Schöpfung«.
Im nun gefundenen Kompromiss verzichtet die GERB auf ihren Parteivorsitzenden Bojko Borissow als Kabinettsmitglied. Die Sozialisten hingegen werden ihre antiwestliche Rhetorik mäßigen und sich dem Ziel der Einführung des Euro öffnen, und die ITN hat ihren Boykott des »Establishments« aufgegeben. Ein wichtiges Detail klärt der Koalitionsvertrag – anders als geplant – jedoch nicht: den Umgang mit dem Oligarchen Deljan Peewski. Peewski ist Jurist und Unternehmer und führt seit Herbst eine Abspaltung der DPS an. Wie kaum ein anderer steht er für die grassierende Korruption und den Klientelismus im Land und unterhält gute Beziehungen zu Borissow. Da ein Paragraph, der Peewski aus dem politischen Prozess ausschließen sollte, wieder aus dem Koalitionsvertrag gestrichen wurde, kamen sogleich Zweifel auf, ob die Erwartungen in Sachen Korruptionsbekämpfung von der neuen Regierung erfüllt werden.
Als gemeinsames Ziel hat sich die Koalition gesetzt, einen funktionierenden Haushalt auf die Beine zu stellen. Im kommenden Jahr soll auch der Euro eingeführt werden. Mit einer niedrigen Inflation sind die Voraussetzungen dafür bisher gut. Ein großes Thema für die neue Regierung dürfte zudem die Ölraffinerie Burgas werden, die sich noch im Besitz des russischen Konzerns Lukoil befindet. Wahrscheinlich wird Lukoil die Raffinerie noch in diesem Jahr verkaufen und dafür die Zustimmung der bulgarischen Regierung einholen. Zu den potentiellen Käufern gehören das staatliche aserbaidschanische Energieunternehmen Socar, der staatliche kasachische Energiekonzern Kaz Munay Gas und das türkische Ölunternehmen Opet.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 19.02.2024
»Refats Tod gilt nicht einmal als Arbeitsunfall«
- 05.02.2020
Internationale Solidarität
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Den Haag ruft
vom 18.01.2025 -
Strategische Partnerschaft steht
vom 18.01.2025 -
Belangloses Spektakel im Senat
vom 18.01.2025 -
American Colony
vom 18.01.2025 -
Kriegspause auf Zeit
vom 18.01.2025