Oligarchenland USA
Von Lucas Zeise
Also sprach der scheidende Präsident Joseph Biden in der Abschiedsrede im Fernsehen zum Volk: »Dieser Tage entwickelt sich eine Oligarchie in Amerika, mit extremem Reichtum, Macht und Einfluss.« Wahrscheinlich hat er sich Dwight D. Eisenhower zum Vorbild genommen, der die erste im Fernsehen übertragene Abschiedsrede eines US-Präsidenten am 17. Januar 1961 gehalten und damals vor dem »militärisch-industriellen Komplex« und dessen wachsender Macht gewarnt hatte.
In der achtjährigen Amtszeit des früheren Fünf-Sterne-Generals Eisenhower hatte dieser militärisch-industrielle Komplex das Land und die Welt in den Kalten Krieg sowie zu einer bis dahin nicht gekannten Aufrüstung geführt. Heute warnt Biden seine Landsleute – treudoof-naiv oder scheinheilig-pharisäerhaft? – vor einer Entwicklung, die nicht in der Zukunft liegt, sondern auch dank Förderung der jeweiligen Staatsspitze längst Realität geworden ist.
Auch in Oligarchien jüngeren Datums gibt es zuweilen Zwist zwischen den superreichen Einzelherrschern, wie Michail Chodorkowski 2003 erfuhr, als er den damals wichtigsten Erdölproduzenten Jukos, den er sich erst ein paar Jahre zuvor unter den Nagel gerissen hatte, an Exxon (die Firma des alten Oligarchenclans der Rockefellers) verscherbeln wollte und statt dessen im Gefängnis landete. Russland gilt seitdem im Westen als abscheuliche Oligarchenwirtschaft.
Im klassischen Oligarchenland USA sind die Oligarchen auf beiden Seiten des »demokratischen Spektrums« zu finden, und sie wechseln gelegentlich zwischen diesen Seiten. Der junge Oligarch Elon Musk hat seinen Wechsel von den »Demokraten« zu den »Republikanern« öffentlich zelebriert und einleuchtend begründet: Die Förderung »einiger weniger ultrareicher« Personen (Biden) durch demokratische und republikanische Präsidenten ist ihm nicht intensiv genug. Deshalb soll die bisherige Wirtschaftspolitik unter Beibehaltung der bisherigen Richtung verstärkt werden. Also noch mehr staatliche Zuschüsse für Investitionen, weitere Senkung der Unternehmenssteuern, größere Flexibilität der Löhne nach unten, noch höhere Ausgaben für Rüstung, mehr Ausbau der Infrastruktur durch staatliche Schuldenmacherei und noch stärker erschwerter Zugang zum US-Markt für die Konkurrenz außerhalb der USA.
Dass ein solches MAGA-(»Make Amerika Great Again«)-Programm Nachteile haben kann, sagen von anderen Oligarchen bezahlte Ökonomen plausibel voraus. Die US-Dollar-Zinsen würden steigen, der Dollar am Devisenmarkt ebenso, und die Inflation könnte im US-Binnenmarkt stärker anziehen als anderswo. Auch hier ist eine Erinnerung an einen früheren Präsidenten fällig. Der radikale Republikaner Ronald Reagan, gewählt 1980, setzte die Politik der Vorgänger radikaler fort, zerschlug brutaler die Macht der Gewerkschaften und steigerte schneller die Rüstungsausgaben und die Staatsschulden. Das Resultat waren hohe Zinsen und ein steigender Wechselkurs des Dollars. Da von der weltweit resultierenden Wirtschaftskrise andere Länder – insbesondere Lateinamerika und Europa – stärker betroffen waren als die USA selbst, wurde der Mann einer der Väter des 1982 einsetzenden Börsenbooms und gilt heute als »großer US-Präsident«.
Was lernen wir daraus? Die US-Oligarchie ist wie Hollywood zur Selbstkritik fähig. Und: Nichts ist so schlimm, dass es nicht noch schlimmer kommen kann.
Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen.
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