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Aus: Ausgabe vom 22.01.2025, Seite 6 / Ausland
Gazakrieg

Geschunden, aber frei

PFLP-Politikerin Dscharrar in erschreckendem Zustand aus israelischem Gefängnis entlassen – Freude bei Angehörigen und Unterstützern
Von Gerrit Hoekman
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Nicht das erste Mal in israelischer Haft: Dscharrar wird am Montag in Ramallah in Empfang genommen

Khalida Dscharrar ist eine wichtige Persönlichkeit in der marxistischen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Sie hat sich vor allem als feministische Menschenrechtsaktivistin einen Namen gemacht. Sie wurde als Abgeordnete ins palästinensische Parlament in Ramallah gewählt und war von 1994 bis 2006 Direktorin der Gefangenenhilfsorganisation Addameer, die wie auch die PFLP in Israel als terroristische Organisation gebrandmarkt wird. Wegen ihrer Mitgliedschaft in der PFLP wurde sie mehrmals verhaftet. Am 26. Dezember 2023 wurde sie zum vorerst letzten Mal in ihrem Haus in Ramallah festgenommen, aber nie angeklagt. Seit dem 12. August musste sie in Einzelhaft durchhalten. Offenbar in einer der ältesten Zellen in Israel überhaupt. »Ich sterbe jeden Tag«, schrieb Dscharrar im August in einem Brief, den ihr Anwalt nach draußen nahm. »Die Zelle ist wie eine kleine, geschlossene Box, in die keine Luft hineinkommt. Es gibt nur eine Toilette in der Zelle und ein kleines Fenster darüber, das später (…) geschlossen wurde. Sie ließen mir keinen Raum zum Atmen.« Sie ersticke in ihrer Zelle und »warte stundenlang, bis ich Sauerstoffmoleküle finde, um zu atmen und am Leben zu bleiben«.

Am frühen Montag morgen war Dscharrar die wohl prominenteste der insgesamt mehrheitlich weiblichen 90 palästinensischen Gefangenen, die im Rahmen der vereinbarten Waffenruhe aus der berüchtigten israelischen Haftanstalt Ofer auf der Westbank freigelassen wurden. Laut Al-Dschasira sind 21 von ihnen männlich, keiner von ihnen älter als 19 Jahre alt, der Jüngste 15. Andere Medien verbreiteten abweichende Zahlen. Keiner der nun Freigelassenen sei wegen Mordes angeklagt worden, erfuhr die israelische Onlinezeitung Times of Israel. Viele befanden sich in sogenannter Administrativhaft, das heißt, sie haben nie eine Klageschrift erhalten.

Ein erschreckendes Video auf Facebook zeigt Dscharrar nach ihrer Entlassung am Montag körperlich und anscheinend auch psychisch stark mitgenommen von den schweren Haftbedingungen. Sie gab den wartenden Medien nur ein kurzes Statement, in dem sie ihre Gedanken offenbarte: »Auf der einen Seite das Gefühl der Freiheit, für das wir alle danken, und auf der anderen Seite dieser Schmerz über den Verlust so vieler palästinensischer Märtyrer«, wurde sie von der US-Agentur AP zitiert. Dann wurde sie von ihren Begleitern abgeschirmt.

Von der kämpferischen Vitalität, die sie nach früheren Freilassungen sofort an den Tag legte, war nichts mehr zu spüren. Mühsam schleppte sie sich durch die Menschenmenge, die sie feierte. Dscharrar registrierte den Jubel fast schon apathisch. Nicht nur wegen ihrer inzwischen ergrauten Haare wirkte die Politikerin in dem Video wie eine Greisin. Dabei ist sie erst 61 Jahre alt. »Die israelischen Behörden übten alle Formen der Unterdrückung und Misshandlung gegen Khalida auf allen Ebenen aus, von Einzelhaft bis zu Hunger und Entzug der grundlegendsten Dinge des menschlichen Lebens«, stellte Amani Sarahna vom Palästinensischen Gefangenenverein gegenüber Anadolu fest.

Am Montag hatten sich mehrere Dutzend Angehörige aufgemacht, um ihre Verwandten in der Freiheit willkommen zu heißen. Aber: »Die Atmosphäre rund um das Ofer-Gefängnis war angespannt, da die israelischen Streitkräfte das Gebiet zum militärischen Sperrgebiet erklärt und Versammlungen von Gefangenenfamilien verboten hatten«, berichtete die Onlinezeitung Palestine Chronicle. Die israelischen Streitkräfte trieben sie mit Einsatz von Tränengas auseinander. Der Fotograf Wahaj Bani Moufleh von der Gruppe Active Stills war ebenfalls zugegen und hielt mit seiner Kamera »Momente des Wiedersehens« fest, »die sich zerbrechlich und trotzig zugleich anfühlen«, wie er auf Instagram schrieb. Aber »anstelle von Feierlichkeiten gab es die durchdringende Realität von Besatzungsgeschossen, die durch die Nacht flogen, und Gaswolken, die diejenigen erstickten, die gekommen waren, um die Freiheit zu begrüßen«.

Der nächste Austausch von Gefangenen soll am kommenden Sonnabend stattfinden, teilte die Hamas laut dpa auf Telegram mit. Dann sollen vier Israelis freikommen. Am Ende der sechs Wochen dauernden Waffenpause sollen 33 von insgesamt 94 im Gazastreifen festgehaltenen Israelis gegen 1.904 palästinensische Gefangene ausgetauscht worden sein.

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