NHS kostet Menschenleben
Von Dieter Reinisch
Das britische Gesundheitssystem NHS ist weiter in der Krise. Für diesen Mittwoch hat die British Medical Association (BMA) erstmals in der Geschichte der Insel Krankenhausärzte auf der Isle of Man zu einem 48stündigen Streik aufgerufen. Mehr als ein halbes Jahr, nachdem die Labour-Regierung mit großen Versprechungen, das NHS zu verbessern, ins Amt getreten war, zeigt sich das Gegenteil: Der einst noch von der Vorgängerregierung versprochene Neubau von 40 neuen Krankenhäusern dürfte mancherorts erst zwischen 2030 und 2039 erfolgen, erklärte Gesundheitsminister Wes Streeting laut Guardian am Montag im Parlament.
Die Gesundheitskrise kostet bereits Menschenleben, geht aus einem neuen Bericht der Pflegegewerkschaft Royal College of Nursing (RCN) hervor. Schutzbedürftige Patienten würden »ihrer Würde beraubt und dem Pflegepersonal wird der Zugang zu lebenswichtigen Geräten verwehrt«, hatte RCN-Generalsekretärin Nicola Ranger vergangene Woche mit Veröffentlichung des RCN-Reports erklärt. Der zeige »eindeutig, dass die Patienten in dieser Situation sterben«, so Ranger.
»In dem Londoner Krankenhaus, in dem ich arbeite, werden Patienten, die auf Transportliegen eingeliefert werden, oft stundenlang in einer Krankenstation mit einer automatischen Schiebetür abgestellt, die sich nach draußen öffnet. Während sie auf ein Bett warten, werden einige in unserem Leichenaufbahrungsraum versorgt. Das ist der einzige Ort, der noch übrig ist«, berichtete eine Pflegerin gegenüber dem Guardian. Pflege finde »in völlig ungeeigneten Teilen des Krankenhauses« statt, transparente Daten darüber, wie viele Patienten betroffen sind, wie lange ihre Behandlung dort dauert und wie groß der entstandene Schaden ist, gebe es nicht.
RCN forderte Gesundheitsminister Streeting und die Leitung des NHS auf, diese Daten unverzüglich zu veröffentlichen. »Ich liebe meinen Job, aber ich denke jeden Tag daran, zu kündigen«, so eine Pflegerin: »Die schlechte Bezahlung und die moralische Verletzung, die sich daraus ergeben, dass ich den Patienten nicht das geben kann, was sie meiner Meinung nach verdienen, nagen an meinem persönlichen und beruflichen Stolz.« Im Dezember veröffentlichte Daten zeigen zudem, dass sich die Wartelisten für Behandlungen im NHS nicht relevant verkürzen.
Das werfe »kein besonders gutes Licht« auf die Labour-Regierung, kommentierte Labourlist. Schließlich habe sie das NHS »zu einer der wichtigsten Prioritäten erklärt«. Laut der Ärztegewerkschaft BMA arbeiten nahezu alle Krankenhäuser in England im Notbetrieb, da sie ihre Auslastung weit überschritten haben. Einige Krankenhäuser könnten wegen ihrer baufälligen Gebäude bis zum geplanten Baustart »entweder einstürzen oder einen ›katastrophalen Ausfall‹ erleiden«, warnten einige Klinikchefs laut Guardian bereits eindrücklich. Auch wenn Gesundheitsminister Streeting nun von einem überarbeiteten, »ehrlichen, realistischen, umsetzbaren Zeitplan« ausgehe, würden einige Kliniken »nicht bis in die 2040er Jahre bestehen«.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (22. Januar 2025 um 16:51 Uhr)Als ich Ende der 80er Jahre die Zahlen über die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit Großbritanniens untersuchte, lag dieses Land sowohl in der Pro-Kopf-Leistung als auch in der Arbeitsproduktivität noch deutlich vor der DDR. In der deutlich schwächeren DDR gab es manches, aber solche Zustände wie die geschilderten gab es nicht. Heute, nach weiteren über 35 Jahren Entwicklung so etwas lesen zu müssen, ist traurig. Viel beschämender aber ist, wie ein wirklich großes und reiches Land so dramatisch heruntergewirtschaftet wurde. Weil der Reichtum nach oben fließt, kommt unten immer weniger von ihm an. Wir waren bei einer Reise durch Südengland schockiert, wie das Land abseits der Hochhaustürme des Finanzadels aussieht. Außer dort, wo sich das britische Militär einbilden darf, weiter eine Weltmacht zu repräsentieren. Und das Geld in den Ukraine-Krieg gepumpt wird, statt für das Wohl der Menschen im Lande zu sorgen.
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