Fahren
Von Jürgen Roth
Die mobile oder »flexible« (Richard Sennett) Gesellschaft ist zumeist eine des Stehens und Sitzens, und da offenbart sich eine kurrent betörende Dialektik der Moderne, der die ollen Herren Horkheimer und Adorno ein früher leidlich bekanntes Buch gewidmet haben.
Anarchofreund Udo versuchte neulich, seinen Fauxpas in Sachen Exkursion ’nauf auf Amberg wettzumachen, und hatte versprochen, mich High Noon abzuholen, um nach Hersbruck zu donnern, in ein Städtchen, das hart an der Grenze zur kriminellen Oberpfalz liegt.
Udo scheiterte – vorerst. »Jürgen, des dauert mindestens noch a Stunde«, rief er mich von unterwegs an. Auf der A 6, der misslungensten Schnellstraße der Republik, war ein mit Wasserstoff beladener Lkw umgekippt. Der Stau entwickelte eine beachtliche Länge und Zähigkeit.
Mit beträchtlicher Verspätung bog Udo in unseren Hof ein. Wir umarmten uns, dann schritt Udo, der generös ist wie kein zweiter, zum Kofferraum seines Sportmobils und zerrte diverse Reparationspräsente hervor: eine Papiertüte voller Fahrbiere aus der Fränkischen Schweiz, einen Eishopfen-Dry-Gin in einer sandgestrahlten Flasche (vom Jahrhundertobstbaubetrieb Fahner aus Igensdorf), ein Getränk, das dir, wie ich mich augenblicklich überzeugte, durch seinen »kraftvollen Geschmack nach frischer Minze und feinwürzigem Aromahopfen« und die »Wacholdernote« ein Sentiment des Elysiums einflößt, sowie einen akkurat gerahmten, streng limitierten Holzschnitt des Bildhauers Franz Janetzko.
Udo hält Franz Janetzko, der zum Beispiel Handys aus Beton fertigt, »für den einzigen Künstler mit Humor, den ich kenne«. Und Udo hatte Janetzko das typographische, kreisförmig im Uhrzeigersinn gestaltete Motiv geliefert: »Vorwärts in die Vergangenheit – Zurück in die Zukunft«.
Das fand meinen unbändigen Beifall und erntete meinen herzlichen Dank, bloß, der Uhrzeigersinn war fortan nicht auf unserer Seite.
An der Ecke Reuther Straße/Hauptstraße hielt uns eine singuläre Umgehungsverkehrsschlange von der Fahrt in die gewünschte Richtung ab. »Wo lang etz? Du kennst dich aus«, sagte Udo.
Ich lotste ihn über Nebenstraßen aus dem Kaff hinaus, am Schwimmbad links ab nach Altendettelsau, in Altendettelsau rechts weg ins Aurachtal (wo meine Schwester jüngst einen Schwarzstorch in einer Wiese hat chillen sehen), und nach wenigen Kilometern war Schluss.
Vor uns schlief eine Autokarawane, am Horizont, auf einer Brücke der B 14, rührte sich nichts. Wir waren verratzt, verdammt zum ewigen Sitzen und Stehen.
Udo entbrannte eine Filterlose, inhalierte entschlossen, kurbelte am Lenkrad und preschte auf der Gegenspur an dem Blechwurm vorbei.
Ich staunte nicht übel. Wir schlugen uns über Land durch, übten uns währenddessen in der Findung halbwegs adäquater, juristisch schwer relevanter Beleidigungen an die Adresse des intergalaktisch irren Gurkengurus Habeck und näherten uns nach geraumer Zeit Zirndorf.
Südlich des Nürnberger Westvorortes cruisten wir durch Oberasbach, die hässlichste Agglomeration, die ich jemals gewahrt habe, eine Assemblee brutalistischen Architekturunflats. Udo, der ein weiser Mann ist, entgegnete auf meine Schimpferei trocken: »Du kannst alles komplett vergessen, was seit Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut wurde. Des g’hört alles g’schreddert.«
Für die sechzig Kilometer nach Hersbruck braucht man gewöhnlich vierzig Minuten. Wir waren nach gut zwei Stunden im Mauerweg.
Der Gangster Tobisch Günther fehlte wegen eines Knöchelbruchs unentschuldigt, Gauner Gölling traute sich aus fadenscheinigen Gründen nur ein Bier zu. Wir kauften den neuen Kalender der Original Hersbrucker Bücherwerkstätte, für den heuer Bernd Eilert die Literaturnoten unter dem Titel »Allerhand – Kunst Kultur Moral« beigesteuert hat, trotzdem.
Später, nach einem von Udo spendierten Mahl aus Exklusivhirnwurst, Preßsack, Leberwurst und einzigartigem Graubrot, entspann sich im hinteren Druckereikabuff ein unsinniges, uninformiertes, unerquickliches Putin-Palaver mit den doch, möcht’ man meinen, verständigen Herren Reger und Fuhrmann.
Udo und ich brachen auf, bevor das Gewaaf aus dem Ruder gelaufen wäre. Man sollte merken, wann es genug ist.
Udos Janetzko-Grafik hängt seither in meiner Schreibküche, und seine Gabe ist mir jeden Tag eine stille Freude. Sie bezeugt Verbundenheit – ohne Gesinnungsbekenntnis.
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