Ohrfeige von Amts wegen
Von Jamal IqrithEin kleiner Klaps vom Pauker – so wie früher eben – was ist schon dabei? Der angeklagte Lehrer, der im Oktober 2023 einen Schüler an einer Schule in Berlin-Neukölln wegen einer Palästina-Flagge auf dem Schulhof geohrfeigt hatte, wurde bei der Verhandlung am Berliner Amtsgericht am Freitag jedenfalls nur mit Samthandschuhen angefasst. Am Ende weigerte sich das Gericht gar, die Schuld des Staatsdieners festzustellen. Das Verfahren wurde gegen eine Geldauflage von 800 Euro eingestellt – abzuleisten binnen sechs Monaten. Der Pädagoge kommt so mit einem blauen Auge davon: Er bleibt straffrei und darf prinzipiell weiter unterrichten.
Am Morgen des 9. Oktober 2023, zwei Tage nach den Angriffen der Hamas in Südisrael, hatte der Geographie- und Sportlehrer Andre T. am Ernst-Abbe-Gymnasium den damals 15jährigen Schüler vor laufenden Handykameras mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Zuvor hatte der Schüler eine Palästina-Flagge gezeigt. Als der 62jährige ihn aufforderte, sie herunterzunehmen und ihn zur Schulleitung zu begleiten, weigerte er sich. Dafür kassierte er eine kräftige Ohrfeige – und trat dem Lehrer daraufhin gegen das Bein. Das Video der Szene wurde im Netz Hunderttausende Male geklickt und rief breite Empörung hervor. Der Fall sei »symptomatisch für die Situation in Deutschland, wo mit Gewalt gegen Palästinenser vorgegangen wird«, erklärte Ahmed Abed, Anwalt des geschädigten Schülers, der im Verfahren als Nebenkläger auftrat, nach der Verhandlung gegenüber jW. »Selbst auf dem Schulhof«. Der betroffene Schüler sagte am Freitag unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus.
Die Staatsanwaltschaft, die dem Lehrer Körperverletzung im Amt vorwarf und ursprünglich eine Geldstrafe von 3.000 Euro gefordert hatte, wollte dem Angeklagten keine Fragen stellen. Selbst dann nicht, als er aussagte, er habe den Schüler lediglich »reflexmäßig weggestoßen«. Er habe eine »unangemeldete Versammlung« auf dem Schulhof wahrgenommen, so T., und sich zum Eingreifen gezwungen gesehen. Mit Rassismus habe das Ganze aber nichts zu tun. Wenn »da eine Gruppe von Rechtsradikalen demonstriert hätte, wäre ich genauso eingeschritten«. Ob es sich bei der Ansammlung von mehreren Schülern – auf dem Schulhof während der Pause – um eine Demonstration gehandelt hat, darf bezweifelt werden. Außerdem habe der Schüler ihm einen Kopfstoß verpasst, ergänzt der Lehrer. Auf dem Video ist davon nichts zu sehen.
Die vorsitzende Richterin zeigte vor allem für den Angeklagten Verständnis. Schließlich sei er von dem 15jährigen provoziert worden. Zudem sei er bei dem Vorfall körperlich und psychisch in Mitleidenschaft gezogen worden. Weil das Landeskriminalamt nach dem Auftauchen des Videos im Internet eine Gefährdung für den Lehrer sah, habe er nicht mehr zur Arbeit gehen können. Bei vergangenen Prozessen mit Bezug zu Palästina ließen Berliner Gerichte meist weniger Milde walten.
Ahmed Abed hält die Entscheidung für falsch. Angesichts der Verantwortung eines Lehrers sei eine Einstellung nicht angemessen. Eine Berufung ist ausgeschlossen, aber einen Antrag auf Schmerzensgeld wolle man stellen. Auch seinem Mandanten, der die Schule wechseln musste, wirft die Staatsanwaltschaft Körperverletzung vor – wegen des Tritts nach der Ohrfeige. Bleibt abzuwarten, ob die Justiz im Falle einer Verhandlung ebenso wohlwollend entscheidet, wenn der Angeklagte auf »der falschen Seite der Staatsräson« steht.
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